- Die Zukunft denken – die Gegenwart gestalten: Was können Utopien leisten?
- Thomas Morus, „Utopia“: Vision eines besseren Lebens im frühneuzeitlichen England
- Umweltfreundlich und sozial stabil: Ernest Callenbach, Ecotopia (1975)
- Fortschritt als Verwirklichung von Utopien: Welche Utopien brauchen wir heute?
- Zurück in die Zukunft: Edward Bellamy, Looking Backward 2000-1887 (1888)
- Werte auf dem digitalen Prüfstand: Dave Eggers, „The Circle“
- Margaret Atwoods Klassiker The Handmaid’s Tale (1985) – neu gelesen
Ein Kultroman der 70er Jahre – neu entdeckt
Ecotopia: The Notebooks and Reports of William Weston (deutsche Übers.: Ökotopia. Notizen und Reportagen von William Weston) erzählt die Geschichte eines investigativen Journalisten, der im Jahr 1999 in offizieller Mission das utopische Ökotopien bereiste. 25 Jahre zuvor hatten sich drei ehemalige US-Bundesländer des pazifischen Nordwesten – Washington State, Oregon und Nordkalifornien – aus der Union gelöst und ein umweltfreundliches, stabiles und ökologisch nachhaltiges Land geschaffen. Autor Callenbach nannte das Buch einst “meine Wette mit der Zukunft“ (Englehardt) Die ursprüngliche Veröffentlichung aus den 70er Jahren war mit einem Klappentext des amerikanischen Verbraucherschutzanwalts Ralph Nader versehen. In viele Sprachen übersetzt wurden etwa eine Million Exemplare weltweit verkauft. Im Nachwort zur 30-jährigen Jubiläumsausgabe seines 1975 erschienenen Romans schreibt Ernest Callenbach: “Rückblickend scheint es, dass Ecotopia der erste Versuch war, eine nachhaltige Gesellschaft darzustellen. Dies erklärt mehr als sein bescheidenes literarisches Verdienst seine Langlebigkeit.“
Callenbachs Roman hat die grüne Bewegung maßgeblich beeinflusst.
Zum Romankonzept
Bild: Deckblatt der 30-jährigen Jubiläumsausgabe. Quelle: Callenbachs Website.
Zu Beginn des Romans beschreibt Weston seine Aufgabe so:
“Meine Aufgabe in den nächsten sechs Wochen ist es, das ökotopische Leben von oben bis unten zu erforschen, um die Realitäten hinter den Gerüchten herauszufinden, um genau zu beschreiben, wie die ökotopische Gesellschaft tatsächlich funktioniert, um ihre Probleme zu dokumentieren und – wo erforderlich – seine Errungenschaften zu bestätigen.“
Der journalistischen Ethik verpflichtet empfindet es Callenbachs Erzähler als seine Aufgabe, “neutral“ über die bisher geheimnisumwitterte Nation im pazifischen Nordwesten der USA zu berichten, was sich für ihn nicht so einfach darstellt. In 50 chronologisch angeordneten, kapitelähnlichen Artikeln beschreibt er seine Erfahrungen in jeweils in zwei Versionen: zum einen als die von ihm erwarteten Zeitungsreportagen, die er Tag für Tag an seine Zeitung schickt; zum anderen in Tagebuchnotizen, die zunächst nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind. Durch diese parallele Erzählstruktur, drucktypisch unterschieden, eröffnen sich für Leser_innen unterschiedliche Perspektiven auf Ökotopien: In den Kolumnen versucht Weston, der Sicht des von ihm erwarteten “neutralen Beobachters“ gerecht zu werden, während die Tagebucheintragungen spontane persönliche Eindrücke widerspiegeln. Die Notizen enthalten u.a. detaillierte Beschreibungen dessen, was Weston bei seinen Erkundungen, begleitet von Ökotopier_innen, sieht und Transkripte von Dialogen, die er dokumentiert. Den Tagebücheintragungen kommt insofern besondere Bedeutung zu, da Westons Geschichte allein aus seiner Perspektive erzählt wird. Die Ökotopier_innen kommen mit ihrer Sicht selbst nicht zu Wort.
Zeitgeschichtlicher und biographischer Kontext
Bild: Foto aus Callenbachs Website
Callenbach selbst nannte sich “a fringe, 60s person“. (Timberg) Nach seinen Inspirationsquellen befragt, nannte er gern in Vorträgen und Interviews den Whole Earth Catalog, der zwischen 1968 und 1972 erschien. Steve Jobs, Gründer von Apple Inc., bezeichnete ihn als eine der Bibeln seiner Generation und als analogen Vorläufer von Suchmaschinen wie Google im Internet. Der Katalog listete die Literatur der Gegenkultur auf. Als Callenbach 1971 anfing, an Ecotopia zu arbeiten, hatten in den späten 60er Jahren gegenkulturelle Gruppen die Aufmerksamkeit auf Fehlentwicklungen der US-amerikanischen Fortschrittsideologie gerichtet. Sie litten unter schlechter Luft und chemisierten Lebensmitteln.
Anfang der 1970er galt Oregon als der “umweltpolitisch innovativste Einzelsstaat“ der USA, der sich gern auch als Umwelt-Modell für die Nation zu profilieren versuchte. (Kristine Kern, zit. nach Joachim Radkau, Die Ära der Ökologie, 184) Callenbach verlegte sein Ökotopien jedoch nach Kalifornian, der damaligen Hochburg der Hippies und der studentischen Gegenkultur. Er war aufgewachsen im eher ländlichen Pennsylvania und hatte später, während seines Studium in Chicago, das Leben in der industriellen Gegenwart in seinen negativen Konsequenzen kennengelernt. Später sollte er sagen: Was wir lernen müssen ist, uns die landwirtschaftliche Vergangenheit in einem modernen industriellen Kontext vorzustellen. Sollte heißen: in einem Zusammenhang, in dem die moderne Technologie nicht außen vor gelassen wird. (Interview mit Heddle).
Der Utopieforscher Richard Saage nennt weitere Inspirationsquellen für Ecotopia, u.a. die japanische Architektur und Kunst sowie die Kultur der Ureinwohner Amerikas. Während erstere ihn lehrte, die Qualitäten Einfachheit, Eleganz und Materialsparsamkeit als Alternative zur westlichen, amerikanischen Wegwerf- und Verschwendungswirtschaft zu schätzen, hätten diese ihm die Augen für die religiöse Dimension der ökologischen Idee (als Alternative zum christlichen Imperativ der Naturunterwerfung durch die Menschen) geöffnet. (Saage, 2006, S. 191)
Zudem griff Callenbach bei der erzählerischen Umsetzung seines Ecotopia-Projekts auf viele Experimente zurück, die er während seiner Zeit im amerikanischen Westen kennengelernt hatte. So ist beispielsweise in Ecotopia wird von einer Schule die Rede, die Crick School, in der die jungen Ökotopier_innen lernen, welche Fähigkeiten sie haben müssen, um für ein Leben in Ökotopien optimal ausgestattet zu sein. (Ecotopia, S. 126) Vorbild war die Pinel School, eine alternative Schule außerhalb von Martinez, Kalifornien, die Callenbachs Sohn eine zeitlang besuchte.
In Kalifornien arbeitete Callenbach hauptberuflich als Redakteur von Wissenschaftsbüchern bei der University of California Press in Berkeley. In der Vorbereitungphase für Ecotopia schickte er jedes Kapitel an Wissenschaftler, um sicherzustellen, dass seine Überlegungen wissenschaftskonform waren. Erst dann begann die eigentliche schriftstellerische Arbeit an seiner Utopie.
Nach mehr als zwanzig Ablehnungen des Manuskripts durch verschiedene Verlagshäuser gründete Callenbach eigens den Banyan Tree Verlag und brachte dort das Buch in Eigenregie heraus. Später (1977) interessierte sich Bantam Books dafür und sorgte mit einer eigenen Ausgabe für weitere Verbreitung. 1981 kam Ecotopia Emerging heraus: ein “Prequel“ (“Vorgeschichte“), in dem erzählt wird, wie es zur Gründung Ökotopiens kam.
Die Story
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Ecotopia war vor dem Hintergrund politischer und wirtschaftlicher Wirrnisse der 1970er Jahre entstanden. Das Buch beschreibt die Ursache so: „Die anhaltende Inflation und Rezession der siebziger Jahre hatten ein weitverbreitetes Elend verursacht und das Vertrauen der Amerikaner in den wirtschaftlichen Fortschritt untergraben. (Ecotopia, S. 4)
Der Roman setzt 1999 ein, auf der Schwelle zum 21. Jht. Langezeit hatte sich die neue Nation durch eine Nachrichtensperre von der Außenwelt abgeschottet. Jetzt, 25 Jahre später, begrüßt Ökotopien den ersten akkreditierten amerikanischen Journalisten, den Reporter Will Weston von der fiktiven New York Times-Post. Seine Entsendung hatte in Absprache mit der US-Regierung stattgefunden. Aus Sicht der Rest-Union schien es eine Sache der politischen Vernunft, zu erfahren, was es mit diesem neuen Staat auf sich hatte. Viele Mythen und Gerüchte hatten sich zwischenzeitlich um das Leben der Ökotopier_innen gerankt, aber es gab keine wirklich konkreten Informationen.
Im Vorfeld seiner Mission hatte Weston einige Amerikaner_innen über ihrer Meinung zu Ökotopien befragt. Sie drückten entweder Angst oder Misstrauen aus. Einige gingen sogar soweit, den Ökotopier_innen Kannibalismus zu unterstellen und warnten Weston vor seiner Ökotopienreise. In seinen Tagebuchnotizen zitiert er eine Antwort:
What ya wanta go in there anyhow, ya some kind of a nut? Buncha goddam cannibals in there. Ya’ll never get out there alive (S. 5)
Nachdem Weston die ökotopische Grenze überquert hatte, machte er die Erfahrung, dass auch in Ökotopien viele Vorurteile über den Rest der amrikanischen Union bestanden. Aus Sicht der Ökotopier_innen galten die Amerikaner des Rest-Staates als verschwenderisch, barbarisch und voreingenommen.
Weston ist ein Fremder in einem fremdem Land. Im Laufe von sechs Wochen lernt er vieles über “Ecotopia“; manches lässt ihn staunen, anderes lässt ihn jedoch auch hilflos zurück. Er gewinnt Freunde, die ihn zu interessanten und kulturell erleuchtenden Abenteuern begleiten. Eine besondere Rolle kommt Marissa Brightcloud zu, die er während eines Aufenthalt in einem lumber camp kennenlernt. Sie wird zu seiner ständigen Begleiterin. Er verliebt sich in sie.
Brightcloud ist ihr angenommener, “indianisch“-inspirierter, Name. Das war offenbar in Ökotopien Usus, wie ihm erzählt wird. Über Marissa sollte Weston später schreiben:
With Marissa, coming into a place is just coming into the place. We will relate to the people there individually or together, intimately or not at all, as it happens to go. (Ecotopia, S. 117)
Und weiter:
With Marissa I get into feelings I never knew were there: a deep, overwhelming, scary sharing of our whole beings, as well as our bodies. (S.75)
Bevor er nach New York zurückkehrt, wird Weston auf Anweisung der Präsidentin von Ecotopia, Vera Allwen, zu den heißen Quellen in den Vorbergen gebracht. Dort, im dampfenden Bad, schmilzt der letzte Rest seines intellektuellen Widerstands – sein “objektives Pseudo-Denken“, wie er es in seinem Tagebuch nennt – dahin. (Ecotopia, S. 165) Letztendlich entscheidet er sich, mit Marissa in Ecotopia zu bleiben. Er schickt seinem Chef in New York eine letzte Kolumne, ineins mit seinem Tagebuch und einer Notiz, die erklärt, was ihm zu dieser Entscheidung bewogen habe.
Callenbachs ökotopische Zukunftsvision
Bild: Motiv aus einem frühen Cover. Es zeigt die Renaturierung San Franciscos.
In Ecotopia entwirft Callenbach eine ökologisch veträgliche und sozial stabile Gesellschaft. Er lässt seinen Erzähler, William Weston, detailliert über Teilbereiche des sozialen, wirtschaftlichen, politischen und privaten Lebens in Ökotopien berichten. Im Mittelpunkt steht das sog. “stable-state-Konzept“.
Zum “stable-state“- Konzept
Stable-state ist Begriff aus der Theorie der Ökosysteme und bezieht sich auf einen Zustand, in dem menschliche Gemeinschaften so leben, dass sie die Umwelt nicht gefährden. Die Prämisse ist einfach. Die Erde ist ein ausgewogenes Ökosystem (stable system) und die Krise begann, als durch Anwendung unbedachter technologische Möglichkeiten dieses Gleichgewicht gestört wurde.
Heute, 40 Jahre später, würde man von Nachhaltigkeit (sustainability) sprechen. Als Callenbach anfing, an Ecotopia zu arbeiten (1971), war der Begriff Nachhaltigkeit noch nicht populär. Er wurde ausschließlich als technischer Begriff verwendet, bezogen auf das Prinzip des nachhaltigen Wirtschaftens im Bereich der Forst- und Fischereiwirtschaft. In Ecotopia geht es jedoch um einem erweiterten Zusammenhang. Callenbach im Wortlaut: “Sustainability is acting to fulfil your needs without jeopardizing the needs of future generations.“
Die fossile Brennstoffindustrie war in Ecotopia fast sofort eingestellt worden, und statt herkömmliche Autos zu fahren nutzen die Ökotopier_innen Elektrobahnen, fahren mit dem Fahrrad oder laufen schlicht zu Fuß. Die wenigen Autos oder Lastwagen, die erlaubt sind, sind elektrisch betrieben. Anstelle von Kohle- und Gaskraftwerken setzen die Ökotopier_innen auf eine Vielzahl von recycelbaren Quellen wie Wasserrädern, Windmühlen und Sonnenkollektoren. Sie haben dafür eigene Forschungzentren eingerichtet, um den photosynthetischen Prozess von Pflanzen für elektrische Nutzung zu erschließen. An zwei Beispielen wird das Prinzip des nachhaltigen Wirtschaftens detaillierter dargestellt, der Waldbewirtschaftung und der Abfallwirtschaft.
Eine der ersten Erkundungen in Ökotopien führt Weston ins Holzfällerlager, wo er die ökotopische Holzindustrie kennenlernt. Alle, die Holz kaufen möchten, müssen eine gewisse Zeit im lumber camp zubringen und sich vor dem eigentlichen Holzkauf an der Pflanzung und Pflege von Bäumen beteiligen. (Ecotopia, S. 54).
Ecotopia: Ein Ort, an dem man sich zuhause fühlt
In einem seiner späteren Vorträge wies Callenbach auf die Wortbedeutung von “Ecotopia“ hin, die ihm jedoch erst in Nachhinein kar geworden wäre. Die Vorsilbe eco– käme vom altgriechischen oikos (altgr. οἶκος). Oikos sei im antiken Griechenland eine Haus- und Wirtschaftsgemeinschaft, die den Lebensmittelpunkt bildete. “Ecotopia“ bedeute daher im wortwörtlichen Sinne ein “Ort, an dem man sich zuhause fühlt.“
Kooperation
Die durchschnittliche Arbeitszeit in “Ecotopia“ beträgt 20 Stunden pro Woche. Das genügt, um die notwendigen Dinge des alltäglichen Bedarfs herzustellen. Es wird kleinen kooperativen Einheiten gearbeitet. Da die Produktionsstätten Gemeineigentum sind, können die Ökotopianer_innen selbst entscheiden, wie sie arbeiten wollen. Fließbandarbeit gehört nicht dazu. Sie bevorzugen einen Arbeitsstil, der es ihnen erlaubt, sich mit anderen auszutauschen (workshop-style).
Frauen in Ökotopien
Es herrscht Gleichstellung von Mann und Frau. Frauen haben sich aus ihrer abhängigen Stellung befreit. Man findet sie an vielen verantwortlichen Posten. Eine Frau, Vera Allwen, ist Regierungschefin. Frauen haben in der Regierungspartei, der Survivalist Party, maßgeblichen Einfluss. In der Vorgeschichte, von Callenbach später in Ecotopia Ermerging (1981) nachgeliefert, erfährt man den Grund. Es hatte ursprünglich zu tun mit einer Wissenschaftlerin, die bei ihren Forschungen eine Solarzelle entwickelt hatte, mit der man die Energieversorgung hätte revolutionieren können. Ihre Stimme wollte jedoch niemand hören.
Frauen übernehmen in Ökotopien auch in partnerschaftlichen Beziehungen die gleiche Verantwortung. Sie haben u.a. die absolute Kontrolle über ihren eigenen Körper. (Ecotopia, S. 70)
Mini-Cities
In “Ecotopia“ geht der Trend hin zu Mini-Städten (mini-cities). Das, so das Argument, würde die Lebensbedingungen der Ökotopier_innen verbessern. (Ecotopia, S. 69) Die alten Großstädte haben ein neues Gesicht bekommen.Einige wenige wurden in ihrem alten Zustand erhalten, gleichsam als Exponate eines “lebenden Museums“: als Anschauungsmaterial “unserer barbarischen Vergangenheit“, wie die Jungs in Ökotopia es scherzhaft formulierten. (Ecotopia, S. 30)
Beispiel für den Städtewandel ist San Francisco. Die Hauptstadt Ökotopiens wurde komplett renaturalisiert. Auf der Market Street fließen jetzt Bäche, die mit großem Aufwand angelegt wurden. Die Geräusche, die Weston auf der Market Street wahrnimmt, sind – neben dem Plätschern des einst unterirdischen Baches – die Fahrräder sowie das Summen einiger weniger Elektroautos.
Minoritäten
Die Darstellung von Minoritäten ist ein kritischer Punkt, der für negative Kritiken sorgte. Nach Angaben des United States Census Bureau hatte San Francisco 1970 eine afroamerikanische Bevölkerung von 13,4%, eine asiatische Bevölkerung von 13,3% und eine hispanische Bevölkerung von 12,4% (Campbell Gibson, zit. nach Garcia). Callenbachs Erzähler, Weston, konstatiert: “There are surprisingly few dark-skinned faces on San Francisco streets” (Ecotopia, 107). In einem besonderen Kapitel: “Apartheid or Equality“ erfahren Leser_innen, dass Black Americans in Oakland eine eigene “Mini-Stadt“ gegründet hatten, “Soul City.“ Dort sei das Leben “kollektivistischer als in den weißen Gebieten“. Soul City sei ein bedeutender Exporteur von Musik und Musikern, Romanen, Filmen und Poesie.
Erwähnung finden auch die Ureinwohner Amerikas, the First Nations. Sie erscheinen, so Pat Joseph, als Teil einer idealisierten, präkolumbianischen Vergangenheit. Im Wortlaut:
Native Americans are at once prominent and scarce in Ecotopia; that is, they exist only as part of the idealized, pre-Columbian past, as noble savages. As such, Ecotopians are free to play Indian: they happily adopt faux-native names and hunt with bow and arrow; they say things like, “You’d never catch an Indian wearing a watch”; and, as they march to a ritual war game in Golden Gate Park, we read that the men “joked with a certain bravado … Tom quoted the old plains Indian saying: ‘It is a good day to die.’” (Joseph)
Zum politischen System
Richard Saage fasst die Merkmale des politischen Systems zusammen:
Das politische System der Ökotopianer läßt sich charakterisieren als eine sozialstaatlich geprägte, föderalistische und stark dezentralisierte Mehrparteiendemokratie auf rechtsstaatlicher Basis. Das politische Leben wird vor allem geprägt von der Spannung zwischen der Regierungspartei, der sogenannten »Survival Party«, und der starken Oppositionspartei, der sogenannten »Progressive Party«. … (I)n der »Survival Party« (sind) Frauen tonangebend; sie haben bei der Konstituierung der Republik Ökotopia eine zentrale Rolle gespielt. Demgegenüber vertritt die führende Oppositionspartei weiterhin das, was die »Survival Party« als überholte männliche Tendenzen ansieht: Individualismus, Leistungsdenken und verwandte Einstellungen …. Das Verdienst der »Survival Party« … besteht nicht zuletzt auch darin, ein neues Politikverständnis durchgesetzt zu haben: Es beruht auf der persönlichen Glaubwürdigkeit des Politikers und nicht auf der Macht der Institutionen und Bürokratien. (Saage, 1189)
Die Progressive Party stelle keinen eigentlichen Machtfaktor dar. Sie bekenne, heißt es in Westons Berichten, sich zwar zur Idee des Wandels: Es seien jedoch leere Lippenbekenntnisse. Wenn es um echte Veränderungen ginge, gäbe es wenig Konkretes. (Ecotopia, S. 53)
Weitere Besonderheiten
Besonders gewöhnungsbedürftig ist für Weston die Rolle, die dem Sport in Ökotopien zukommt. Der geächtete televisierte Massenspektakelsport hat Platz gemacht für partizipative Sportarten, die die allgemeine körperliche Fitness steigern. Ein Horror für alle medienfixierte US-Sportfans. Kritikpunkt sind aber insbesondere die sogenannten “War Games“, die – so das Argument – dem Aggressionsabbau dienten und gelegentlich für die Kontrahenten auch schon mal tödlich endeten.
Bewertungen/Kritik
Scott Timberg (New York Times) beschrieb die in Ökotopia dargestellte Vision als “eine Mischung aus skandinavischem Sozialismus und nordkalifornischem Zurück-auf-das-Land-Ideen, mit dem Usus, vor Ort angebaute Produkte zu essen.“ (Timberg). Brian Smith (Earth Island Journal), der sich selbst als Kind der 1980er Jahre bezeichnete, las den Roman 30 Jahre später und sagte (übersetzt): “Ich fühlte große Affinität für die Details der Welt, die Callenbach vorhersagte. Noch stärker war ich davon beeindruckt, wie viele seiner Ideen umgesetzt wurden.
Es waren jedoch nicht alle Besprechungen positiv. J. Garcia sprach einem „weißgewachenen Ökotopien“ (“Ecotopia the Whitewashed„. Der linke Journalist Peter Bierl warf Callenbach vor, Ökotopia enthalte aber schon „eine krude Mischung aus emanzipatorischen und rechten Vorstellungen“.
Was bleibt?
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Ecotopia ist eine der wenigen positiven Utopien des späten 20. Jahrhunderts. Die Bedeutung seines Romans, räumte Callenbach selbst ein, sei vermutlich nicht so sehr in seinem literarischen Stil zu sehen als vielmehr in der Darstellung eines alternativen und ökologisch fundierten Lebensstils. Die hypothetische Gesellschaft, die er in Ecotopia darstellte, war für viele glaubhaft, weil sie über die rein technischen Fragen einer ökologisch sinnvollen Wirtschaftsweise hinausging und die Frage stellte, wie eine Gesellschaft aussehen könnte, die geeignet wäre, eine ökologisch sinnvolle Technologie erfolgreich zu verwirklichen: Wer würde in einer solchen Gemeinschaft leben wollen und wie würde eine(r) Außenstehende(r), diese Gesellschaft erfahren.
Die Umweltkrise, die Callenbach bewegte, ist heute – 40 Jahre später – bedrohlicher geworden. Auslöser sind u.a. die ungleiche Verteilung der natürlichen Ressourcen und Energiequellen, die Anwendung fragwürdiger Technologien, Überbevölkerung, Verstädterung; dies ineins mit der raschen Verbreitung und weithin unhinterfragten Akzeptanz sog. “westlicher Werte“, insbesondere dem Glauben an Wachstum durch Industrialismus. In Teilen des westlichen mainstream-Denkens ist jedoch die Überzeugung angekommen, dass durch unverantwortliches Handeln – technologisch wie sozial – lebenserhaltende ökologische Mechanismen gestört werden, so dass unsere Nachfolgegenerationen keine Chance mehr haben, im Gleichgewicht mit den sie erhaltenen lebensnotwendigen Ressourcen leben zu können. Ecotopia ist – in den Worten Rolf Schwenders – “multikulturell, sanft technologisch, dezentralistisch, frauenfreundlich, hierarchiearm (aber nicht hierarchielos)“. (Schwendter). Der Roman verteufelt moderne Hochtechnologien nicht, lehrt jedoch einen kritischen Umgang mit ihnen. Was Ecotopia so sympathisch macht ist, dass Callenbach keine ideologischen Frontstellungen aufbaut. Der Impuls, der in den 1970ern von Ecotopia ausging, ist heute mächtiger als zuvor.
Literatur
Bierl, Peter. “Und ewig rauschen die Wälder.“ Antivegan-Wiki.
BookRags. Ernest Callenbach, Ecotopia: The Notebooks and Reports of William Weston. Study Guide. 2017.
Callenbach, Ernest. Ecotopia (30th Anniversary Edition). Heyday Books, 2005.
Callenbach, Ernest. “From Capitalism to Ecotopia: A Successionist Manifesto [Delivered as a lecture for the Carl-Schurz-Haus in Freiburg, Germany.] „.
Callenbach, Ernest. “Epistle to the Ecotopians“ The Huffington Post (Jul 07, 2012).
Clancy, Judith und Ernest Callenbach. Ecotopian Sketchbook. Synergistic Pr (June 1981).
Engelhardt, Tom. “Best of TomDispatch: Ernest Callenbach, Last Words to an America in Decline“ (August 25, 2013).
Garcia, J. “Ecotopia the Whitewashed“ (Jul 9, 2016).
Joseph, Pat. “Revisiting the 1970s eco-cult classic that gripped a nation“. Grist (May 13, 2005).
Kerkhoff, Ingrid. “Fiction Into Film: Ernest Callenbach’s Ecotopia.“ Leinwandträume. Eds. Ingrid Kerkhoff & Peter Rodenberg. Gulliver 29 (1991):110-122.
Mangum, Ray. “Ecotopia by Ernest Callenbach“. Prometheus Unbound (July 19, 2011).
Martin, Ann and Rob White. “Remembering Ernest “Chick” Callenbach.“ Film Quarterly 65:4 (Juni 5, 2012).
Saage, Richard. “Utopie als ökologischer Imperativ: Zu Ernest Callenbachs Ecotopia.“ In ders. Utopische Profile / 4. Widersprüche und Synthesen des 20. Jahrhunderts. Münster [u.a.], 2006. 189-210.
Saage, Richard. “Zwischen Innovation und Regression. Zu Ernest Callenbachs Ökotopia. Notizen und Reportagen von William Weston aus dem Jahr 1999.“Utopie kreativ Heft 121/122 (November/Dezember 2000), S. 1179-1191.
Schwendter, Rolf. „U-t-o-p-i-e. Überlegungen zu einem zeitlosen Begriff.“
Smith, Brian. “A Child of Dystopia Reads Ecotopia“. Earth Island Journal (Spring 2011).
Timberg, Scott. “A Novel that predicted Portland.“ The New York Times (December 12 2008).
Tschachler, H. “Despotic Reason in Arcadia. Ernest Callenbach’s Ecological Utopias“, Science-Fiction Studies 11 (1984), pp. 304–317.