Ein New York Times Bestseller
In seinem ersten großen Buch zum Thema Einkommensungleichheit kritisiert Noam Chomsky scharf die grundlegenden Prinzipien des Neoliberalismus und schaut nüchern auf die ökonomischen Fakten des Lebens. Er identifiziert zehn Prinzipien der Konzentration von Reichtum und Macht, die heute in US-Amerika am Werk seien. Jedem dieser „Prinzipien“ widmet er ein Kapitel und fügt Lesungen aus Kerntexten hinzu, die sein Denken beeinflusst haben. Seine These: Dieser „Teufelskreis“ von Maßnahmen habe zu einer Korrosion der Demokratie geführt und damit Schritt für Schritt den Amerikanischen Traum vernichtet.
Zum Autor
Noam Chomsky (* 1928 in Philadelphia, Pennsylvania, USA) ist emeritierter Professor für Linguistik am Massachusetts Institute of Technology (MIT), einer der weltweit bekanntesten linken Intellektuellen und seit den 1960er Jahren einer der prominentesten Kritiker der US-amerikanischen Politik. Seit seiner Kritik am Vietnamkrieg trat er immer wieder als scharfer Kritiker der US-amerikanischen Außen- und Wirtschaftspolitik in Erscheinung und wurde als Kapitalismus- und Globalisierungskritiker weltweit bekannt. Seine Arbeiten reichen vom Studium der Linguistik und der Sprachentwicklung über die Ursachen des Krieges bis hin zum Zustand der Demokratien auf der ganzen Welt. Er selbst bezeichnet sich als einen libertären Sozialisten mit Sympathien für den Anarchosyndikalismus, ist Mitglied der Industrial Workers of the World und der Internationalen Organisation für eine Partizipatorische Gesellschaft (IOPC).
Noam Chomsky
Life and works
Bibliography and filmography
Das Buch (2017)
Im einleitenden Kapitel des Buches erklärt Chomsky, wie die öffentliche Meinung in einer Demokratie die Regierungspolitik beeinflussen soll, meistens es jedoch nicht der Fall ist. Dies schreibt er dem Einfluss der Privilegierten und Mächtigen zu, die die Demokratie nie gemocht haben. Chomsky fasst die größte Bedrohung für die Demokratie so zusammen:
Die Konzentration des Reichtums führt zu einer Konzentration der Macht, insbesondere, wenn die Kosten für Wahlen in die Höhe schnellen, was die politischen Parteien noch tiefer in die Taschen der großen Unternehmen drängt. Diese politische Macht wird schnell in eine Gesetzgebung umgesetzt, die die Konzentration des Wohlstands erhöht. Steuerpolitik, Deregulierung, Regeln der Unternehmensführung und eine ganze Reihe von politischen Maßnahmen zur Steigerung der Konzentration von Wohlstand und Macht – bringen mehr politische Macht.
Zur Genese von Buch und Film
Film und Buch sind das Ergebnis einer Zusammenarbeitet von Autor und Filmteam. Um Requiem für den amerikanischen Traum zusammenzustellen, verbrachten Chomsky und seine Redakteure, die Filmemacher Peter Hutchison, Kelly Nyks und Jared P. Scott, über fünf Jahre (von 2011 bis 2016) unzählige Stunden zusammen. Nach der Veröffentlichung der Filmversion, wandten sie sich noch einmal zu den vielen Stunden mit Tonband und Transkripten zu und erstellten ein Dokument, das dreimal so viel Text enthielt wie der Film.
Die zehn Prinzipien der Konzentration von Reichtum und Macht
Prinzip 1: Weniger Demokratie
Im Laufe der Geschichte Amerikas gab es einen Konflikt zwischen dem Drängen nach mehr Freiheit von unten und dem Bestreben nach Herrschaft und Kontrolle durch die Elite. Das alles geht zurück auf die Gründung Amerikas. James Madison, der wichtigste Gestalter der Verfassung, der in jener Zeit fest an die Demokratie glaubte, meinte jedoch, dass das System der Vereinigten Staaten so entworfen werden müsse, und aufgrund seiner Initiative auch so wurde, dass die Macht in die Hände der Reichen gelegt wurde. Die Reichen galten damals als die verantwortungsbewusstere Gruppe.
Prinzip 2: Die Ideologie formen
Seit den 70er Jahren gibt es eine gewaltige Offensive der Geschäftswelt, die Bemühungen um Gleichheit einzudämmen. Beispiel ist das Powell Memorandum. Powell, später Richter am Obersten Gerichts, warnte davor, dass die Geschäftswelt die Kontrolle verliere und plädierte dafür, dass etwas dagegen getan werden müsse. Sieht man genauer hin, so Chomsky, ist es ein Aufruf an die Geschäftswelt, Ressourcen zu nutzen, um gegen die Welle der Demokratisierung vorzugehen. Auf der Seite der Liberalen finden wir etwas sehr Ähnliches. Auch sie waren entsetzt und der Meinung, dass man dagegen vorgehen solle. Ihre Sorge war, dass sich ein „Überschuss an Demokratie“ entwickeln könne. Besonders die jungen Leute machten Sorge: Sie wären zu frei und unabhängig.
Prinzip 3: Die Wirtschaft umgestalten
Seit den 70er Jahren versuchen die „Herren der Welt“, die Wirtschaft in zentralen Punkten zu verändern. Dies betraf insbesondere den Finanzsektor. Damit geht ineins die Verlagerung der Produktion ins Ausland. Das Handelssystem entwickelte sich so, dass Arbeiter auf der ganzen Welt zueinander in Wettbewerb traten. Das vergrößerte ihre Unsicherheit. Haben Arbeiter unsichere Jobs, bleiben sie unter Kontrolle. Diese beiden Prozesse, die Finanzierung und das Off-Shoring sind Teile dessen, was – so Chomsky – zum Teufelskreis von Wohlstand und Macht führte.
Prinzip 4 Die Last abwälzen
Der amerikanische Traum war teils symbolisch, teils real. Die 50er und 60er Jahre waren die größte Wachstumsperiode in der amerikanischen Wirtschaftsgeschichte: das Goldene Zeitalter. Das unterste Fünftel der Bevölkerung profitierte ebenso wie das oberste. Es gab sozialstaatliche Maßnahmen, die das Leben für einen Größteil der Bevölkerung besser machten. Während dieser Periode des Wirtschaftswachstums mussten Wohlhabende bei weitem höhere Steuern zahlen: Unternehmenssteuer, Dividendensteuer, Vermögenssteuer: Sie waren alle viel höher. Das Steuersystem wurde so umgestaltet, dass die Steuern für die Wohlhabenden reduziert wurden und sich für den Rest der Bevölkerung erhöhten. Dafür gab es einen Vorwand: die Investitionen sollten steigen. Die größten amerikanischen Unternehmen wälzten die Last, die Gesellschaft zu erhalten, auf den Rest der Bevölkerung ab.
Prinzip 5: Soldidarität in Frage stellen
Solidarität ist gefährlich. Nach Ansicht der „Herren der Welt“ solle man sich um sich selbst und nicht um die anderen kümmern. Das sei eine ganz andere Ansicht als die Adam Smiths, für den Mitgefühl eine grundsätzliche menschliche Eigenschaft ist. Heute gelte: Mitgefühl müsse den Menschen ausgetrieben werden. Es hat einige Mühe gekostet. Wir sehen das in der heutigen Politik. Die Sozialversicherung beruht auf dem Prinzip der Solidarität. Ein anderes Beispiel ist das Schulsystem. Die Reichen haben nichts davon, deshalb – so Chomsky – versuchen sie gemeinsam, dieses System zu zerstören. Eine erste Möglichkeit ist, es nicht mehr zu finanzieren.
Prinzip 6: Die Behörden für sich arbeiten lassen
Sieht man sich die Geschichte der Regulierung an, z.B. die Eisenbahnvorschriften, die Finanzregulierung usw., entdeckt man häufig, dass sie von jenen Bereichen initiiert werden, die reguliert werden sollen. Der Grund ist, dass sie wissen, dass sie füher oder später die Macht über diese Regulierungsbehörden übernehmen. Das alles laufe darauf heraus, was man „regulatory capture“, Vereinnahmung einer Regulierungsbehörde, nennt.
Prinzip 7: Wahlkämpfe manipulieren
Die Konzentration von Wohlstand führt zur Konzentration von politischer Macht, besonders, weil die Kosten für Wahlkämpfe in die Höhe schießen, was politische Parteien von großen Unternehmen abhängig macht. Im 14. Zusatzkapitel zur amerikanischen Verfassung heißt es, dass ohne rechtsstaatliche Mittel in niemandes Recht eingegriffen werden könne. Es handelte sich dabei um Personen, wurde aber bald auch für bei Unternehmen verwendet. Sie wurden dem Recht nach langsam zu Personen. Unternehmen seien, so Chomsky, eine vom Staat kreierte juristische Fiktion. Vielleicht sind sie gut, vielleicht schlecht. Aber sie Personen zu nennen sei ungeheuerlich. In der Folge hat man Gesellschaften mehr Rechte gegeben als Personen. Ausländer ohne Papiere hingegen, die hier leben, die Häuser bauen und den Rasen pflegen, sind keine Personen, aber General Electric ist eine Person.
Prinzip 8: Den Pöbel im Zaum halten
Es gibt eine organisierende Kraft, sie hat ihre Makel, aber mit ihren Makeln ist sie ganz weit vorne. Sie versucht, das Leben der Gesamtbevölkerung zu verbessern. Sie ist eine Barriere gegen die Diktatur. Sie verteitigt die Rechte der Arbeiter. Es ist ein Recht, Gewerkschaften zu bilden. Die USA haben, verglichen mit anderen Ländern, eine lange Geschichte. In der McCarthy-Ära kam es zu unternehmerischen Offensiven gegen Gewerkschaften. Noch stärker in den Reagan-Jahren. Mittlerweile haben weniger als 7% im privaten Sektor Gewerkschaften.
Prinzip 9: Zustimmung schaffen
Die PR-Branche, deren Aufgabe die Kundengewinnung ist, ist ein Phänomen, das sich in den freiesten Gesellschaften entwickelt hat, in GB und den USA. Der Grund ist offensichtlich. Es wurde klar, dass es nicht einfach sein würde, die Bevölkerung mit Gewalt zu kontrollieren. Dazu gab es zu viele Bewegungen. Man brauchte also andere Mittel, das Volk zu kontrollieren. Man hatte verstanden, dass man Menschen über ihre Ansichten und Einstellungen kontrollieren muss. Eines der erfolgreichsten Methoden war – nach Thorstein Veblen – aus ihnen Konsumenten zu machen.
Prinzip 10: Die Bevölkerung marginalisieren
Einer der führenden Politikwissenschaftler, Martin Gilens, veröffentlichte eine Studie über die Einstellung der Öffentlichkeit zur Politik. Sie zeigte, dass etwa 70% der Bevölkerung glaubte, die Politik nicht beeinflussen zu können. Die Bevölkerung reagiert wütend und frustriert. Und diese Reaktion ist nicht gerade konstruktiv. Sie nimmt die Form von Angriffen gegeneinander an. Chomsky: Man sieht es besonders am 15. April. Es ist der Tag, an dem man seiner Steuern zahlt. In einer wirklich demokratischen Gesellschaft wäre der 15. April ein Tag des Feierns, ein Tag, an dem die Gesellschaft entscheidet, wie man die Programme finanziert, auf die sie sich geeinigt hatte. Aber dem ist nicht so.
Ich glaube nicht, dass wir schlau genug sind, uns vorstellen zu können, wie eine vollkommen gerechte und freie Gesellschaft aussehen würde. Ich denke aber, wir können ein paar Richtlinien benennen und, noch wichtiger, sagen, wie wir in diese Richtung fortschreiten können. John Dewey behauptete, dass wir keine demokratischen Gesellschaft haben werden, solange nicht Produktion, Handel und Medien alle unter partizipatorischer demokratischer Kontrolle sind.
Fazit
„Im Zeitalter schwächelnder Demokratien ist Noam Chomsky wichtiger als je zuvor,“ hatte Rohit Kumar gesagt. Chomsky gelingt es, in 10 Punkten anti-demokratische Tendenzen in den USA zu identifizieren und prägnant zu benennen. Obwohl praktisch die gesamte Länge von Buch und Film der Diskussion destabilisierender Tendenzen gewidmet ist, scheint Hoffnung durch. Chomsky ist Optimist. Das zeigt sich zu Beginn und am Ende. Zu Beginn heißt es:
„Während der Großen Depression, an die ich mich noch erinnern kann, war es schlimm – subjektiv viel schlimmer als heute. Aber wir hatten das Gefühl, die Erwartung, dass die Dinge besser werden.“
Chomsky endet mit einem Howard Zinn-Zitat:
„Was wirklich zählt sind die vielen Taten unbedeutender Menschen, die die Grundlagen schaffen für Ereignisse, die in die Geschichte eingehen. Sie sind diejenigen, die in der Vergangenheit etwas getan haben, und die es in der Zukunft tun müssen.“
Literatur
„Die zehn Principien der Konzentration von Reichtum und Macht“. YouTube
Goodman, Amy. „Noam Chomsky in Conversation with Amy Goodman on Trump, Nukes, North Korea, Climate Change & Syria“. Democracy Now (December 25, 2017).
Kelly, Geoff. „Noam Chomsky, Requiem, The Film“. Daily Public (Mar. 29, 2016).
Kumar, Rohit. „In the Age of Faltering Democracies, Noam Chomsky Is More Relevant Than Ever“. The Wire.