1. Young, Black, Male, Unarmed, Dead: Der gewaltsame Tod des Teenagers Michel Brown und die Rassismusdebatte in den USA
Am 9. August 2014 wurde der unbewaffnete Teenager Michael Brown in einer Auseinandersetzung mit der Polizei in Ferguson, Missouri, von einem örtlichen Polizisten durch mehrere Schüsse aus dessen Dienstwaffe getötet. Der Fall beschäftigte die nationale und internationale Aufmerksamkeit und führte zu einer erneuten Diskussion über Rassenkonflikte, Bürgerrechte, die Militarisierung der Polizei sowie – in einem breiteren Kontext – die ökonomische und soziale Marginalisierung schwarzer AmerikanerInnen. (zu den Fakten vgl. den Eintrag „The Shooting of Michael Brown“)
Der Titel – „Please, World, Know: Black Lives Do Matter“ – ist dem Blog „Crasstalk“ entnommen, in dem die Kommentatorin Lauren Crass sich empört, wie am 9. August 2014 die Polizei in Ferguson/Missouri mit dem schwarzen Teenager Michael Brown umging.
Der 18-jährige Michael Brown, der gerade die Highschool abgeschlossen hatte und einem College-Studium entgegensah, war in Begleitung eines Freundes mitten auf einer Straße unterwegs, als ein Polizeiwagen die beiden anhielt und sie aufforderte, sich auf den Gehweg (side-walk) zu begeben. Die beiden Jugendlichen schienen der Aufforderung nicht nachgekommen zu sein. Was sich dann ereignete, ist bizarr und setzt sich aus einer Vielzahl von oft konfligierenden Augenzeugenberichten, Polizeistatements, Presse-Statements der Familie und örtlichen Medienberichten zusammen. Fakt scheint zu sein, dass Michael Brown, der schwarzamerikanische Teenager, von den Kugeln eines örtlichen Polizisten getötet wurde, der offenbar sechs Schüsse aus seiner Dienstpistole auf ihn abgab. Michael Brown blieb vier Stunden auf der Straße liegen, ohne dass sich Sanitäter um ihn bemühten und Wiederbelebungsversuche starteten: Er starb am helllichten Tag auf offener Straße, inmitten von Leuten, die ihren Einkäufen nachgingen.
Der Polizist, der offenbar für die Todesschüsse verantwortlich war, wurde bezahlt beurlaubt. Erst auf Druck der community gab der örtliche Polizeichef, Thomas Jackson, in einer Pressekonferenz den Namen des Todesschützen bekannt; dies nicht ohne gleichzeitig auf ein Überwachungsvideo hinzuweisen, das Michael Brown angeblich bei einem Ladendiebstahl zeigte. Thomas Jackson war zuvor von überbehördlicher Stelle angewiesen worden, das Video nicht zu zeigen, um eine mögliche Eskalisierung von Gewalt zu verhindern: Er tat es dennoch: Ob aus Naivität oder weil er in seinem Amt überfordert war, bleibt dahingestellt.
Das Überwachungsvideo wurde derweil von rechtsorientierten Medien (Fox News, etc.) immer wieder abgespielt, suggerierend, dass es sich im Fall Michael Brown um einen „Verbrecher“ (thug) handele, der eine Bedrohung (menace) für die Gemeinschaft darstelle.
Die Konfrontation zwischen Polizei und schwarzamerikanischen BürgerInnen ist ein Thema, das Bürgerrechtsaktivisten seit langem beschäftigt. Mit den Ereignissen in Ferguson/Missouri ist die Debatte um das unangemessene Verhalten der Polizei neu entfacht. Mit auf dem Prüfstand standen die amerikanischen Grundwerte von Gleichheit und Gerechtigkeit.
2. We’ve Got Rights: Zu den Protesten
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Der Todesschütze war weiß, das Opfer schwarz und Ferguson/MO hatte bei der bisherigen Handhabung von Rassenkonflikten eine schlechte Vergangenheit. Als der gewaltsame Tod des Teenagers bekannt wurde, sammelte sich am Tag danach eine Menge von mehreren hundert TeilnehmerInnen, um ihre Anteilnahme am Tod Michael Browns zu bekunden. Zunächst verlief alles – nach Medienberichten – friedlich, als dann aber gegen Abend die Mahnwachen einsetzten, wurden einige TeilnehmerInnen unruhig. In der Presse wird von Randalierenden berichtet, die Geschäfte plünderten und Autos demolierten und von Demonstranten, die die lokalen Ordnungskräfte provoziert haben sollen, weil sie ihre Hände in die Luft reckten mit der Botschaft: „Erschieß‘ mich nicht“; dies als Tribut für den getöteten Michael Brown, der nach dem Bericht des Freundes, mit dem er unterwegs war, die Arme als Zeichen der Unterwerfung in die Luft hielt, bevor er von den tödlichen Kugeln des Polizisten getroffen wurde. Unter den Solidarität bekundenden Protestierenden waren auch Eltern von Kindern, die zuvor ebenfalls von der Polizei getötet wurden. (VIDEO: „We are All Michael Brown“ — NYC Parents Whose Kids Were Killed by Police Rally for Justice) Lokalen Aktivisten, Geistlichen, US-BürgerrechtlerInnen und Aktivisten aus dem regionalen und nationalen Umfeld, die an der Solidaritätsbekundung teilnahmen, ging es nach ihren Aussagen darum, dazu beitragen zu wollen, dass sich die Situation in Ferguson verbessere. Ferguson/MO, eine Kleinstadt mit einer Bevölkerung von 21,000 besteht zu etwa 70 Prozent aus Schwarzamerikanern, Polizei und Politik sind überwiegend in weißen Händen.
Die Aktivistengruppe Anonymous rief zu einem „Nationalen Tag des Zorns“ (Day of Rage) auf, um die Demonstranten in Ferguson in ihrem Kampf gegen Polizeigewalt zu unterstützen.
Etwa 14 Meilen (etwa 22 km) entfernt versammelten sich im Barneys Sports Pub in St. Louis Dutzende von Anhängern des involvierten Polizisten Darren Wilson, um Spenden für dessen Familie zu sammeln. Einige hielten Schilder mit der Aufschrift hoch: „unschuldig, bis seine Schuld bewiesen ist“. Sie baten Autofahrer, ihre Hupen zu betätigen als Zeichen der Unterstützung für den Todesschützen. Viele kamen der Aufforderung nach. Einer der Rallye-Organisatoren soll gesagt haben: „Unsere Mission ist es, offiziell zu erklären, dass wir der Überzeugung sind, dass Officer Wilsons Handlungsweise am 9. August geboten und gerechtfertigt ist, und er hat unsere unerschütterliche Unterstützung.“
3. Die Reaktion der Polizei: Zum Einsatz unverhältnismäßiger Mittel
Tagelang glich die Kleinstadt Ferguson in Missouri nahe St. Louis einer Kriegszone. Die Polizei setzte Tränengas, Blendgranaten (stun grenades) und Rauchbomben ein, um die Proteste zu kontrollieren. Als die Situation für die Ordnungshüter außer Kontrolle zu geraten schien, forderten sie die Nationalgarde zur Unterstützung an. Dies rief umso mehr den Zorn der Protestierenden hervor.
Nach den Zusammenstößen zwischen der örtlichen Polizei und den Demonstrierenden reiste US-Senatorin Claire McCaskill nach Ferguson und machte sich persönlich ein Bild von der Lage. Sie veröffentlichte auf ihrer Internet-Seite folgende Erklärung:
“We need to de-militarize this situation—this kind of response by the police has become the problem instead of the solution. I obviously respect law enforcement’s work to provide public safety, but my constituents are allowed to have peaceful protests, and the police need to respect that right and protect that right. Today is going to be a new start, we can and need to do better.”
McCaskill diskutierte mit US-Justizminister Eric Holder die Situation, die sie als „total unakzeptabel“ bezeichnete. Es ging auch um die Chancen einer bundesstaatlichen Untersuchung. Der Justizminister hat jedoch keine unmittelbare Gerichtsbarkeit über lokale Polizeiaktionen.
Fergusons Polizei war u.a. 2009 auffällig geworden. Wie sich der Fall heute darstellt, hatten Beamte damals den 52-jährigen Schwarzamerikaner Henry Davis festgenommen, der nicht zur Fahndung ausgeschrieben war. Wie später aus Prozess- und Vernehmungsakten hervorging, wurde Davis offenbar auf der Wache blutig geschlagen. Kritische KommentatorInnen vermuten, um anschließend gegen ihn Anklage wegen Sachbeschädigung von Regierungseigentum erheben zu können. Der Vorwurf der Sachbeschädigung wurde zwar fallen gelassen, aber es kam auch nicht zu einer Anklage gegen die Polizisten, die Davis misshandelt hatten.
Für Außenstehende ist es schwer zu verstehen, dass in einer etwa 21.000 Einwohner zählenden, mehrheitlich schwarz-amerikanischen Kleinstadt fast alle Polizisten weiß sind, auch der Polizeichef und der Bürgermeister, der den Polizeichef ernennt.
In den Tagen nach dem gewaltsamen Tod von Michael Brown stellten sich aufmarschierende Polizisten den Demonstranten – die in der Regel friedfertig, manche jedoch auch plündernd und gewaltbereit – mit vorgehaltenem Gewehr, Tränengas, Gummigeschossen, Schlagstöcken und gepanzerten Fahrzeugen in Kampfanzügen entgegen. Schon seit Jahren beklagt die American Civil Liberties Union (ACLU) die Militarisierung der Polizei. 2013 wurden angeblich Rüstungsgüter für etwa $ 450 Millionen Dollar „weitergereicht“.
Auf storify.com kommentierten US-Kriegsveteranen die Polizeieinsätze in Ferguson:
The general consensus here: if this is militarization, it’s the shittiest, least-trained, least professional military in the world, using weapons far beyond what they need, or what the military would use when doing crowd control. (Veterans on Ferguson)
In Afghanistan hätten die Soldaten striktere Vorschriften gehabt als offenbar die Polizei in Ferguson.
Wenn amerikanische BundespolitikerInnen wie Justizminister Eric Holder und die US-Senatorin Claire McCaskill die Militarisierung der Polizei beklagten, sahen sie darüber hinweg, dass die Ausrüstung lokaler Polizeibehörden mit Hardware-Kriegsgerät offizielles Ziel der nationalen Sicherheitspolitik in den USA war. Nach dem 11. September 2001 wurde es aus übergeordneter Stelle für wichtig erachtet, Polizeidienststellen auf das Schlimmste vorzubereiten. Das Militär gab ausgemusterte Waffen und Fahrzeuge, auch Panzer, an Polizeidienststellen aus und erfreuten mit diesen Spenden, die Platz in den militärischen Depots schafften, vor allem die Waffenlobbyisten.
Als die Unruhen nachließen, wurde die National Guard zurückbeordert. Präsident Obama soll in der Zwischenzeit eine Überprüfung der Verteilung von militärischer Hardware an die staatlichen, regionalen und lokale Polizeidienststellen angeordnet haben, aus Sorge darüber, wie solche Geräte in Ferguson verwendet wurden, so ein hochrangiger Regierungsbeamter am 22. August [ID: nL2N0QT0MB]
4. Protecting the Integrity of the Investigation: Die Grand Jury und das Versprechen eines fairen Prozesses
Die community in Ferguson/MO misstraute den anstehenden Ermittlungen. Viele bezweifelten, ob sie den zu erwartenden Ermittlungsergebnissen Glauben schenken können. Dies hat seinen Grund in Erfahrungen mit ähnlich gelagerten Fällen in der Vergangenheit, aber auch mit der Art und Weise, mit der von der örtlichen Polizei Informationen zurückgehalten wurden.
Die Protestierenden verlangten nach einem transparenten Aufklärungsverfahren. Ins Visier geriet der Vorsitzende des eingesetzten Untersuchungsausschusses, Robert P. McCulloch, dem der Ruf vorausging, im „Ghetto“ jeden Polizisten davonkommen zu lassen.
Die Gesetze in Missouri sehen zwei Möglichkeiten vor, im Bedarfsfall einen auswärtigen Staatsanwalt bei Ermittlungen einzusetzen. Der örtliche Vertreter der Anklage kann den Gouverneur um Amtshilfe bitten, und dieser kann dann dem Justizministerium den Fall nahelegen. Oder ein Gericht kann einen Sonderstaatsanwalt berufen, wenn anzunehmen ist, dass der örtliche Vertreter der Anklage in einem Interessenkonflikt befangen ist. Im Fall der Ermittlungen um die Tötung Michael Browns gab es Stimmen, die sich für die Einsetzung eines Sonderstaatsanwalts einsetzten, so u. a. der örtliche Zweig von Amnesty. Amnesty forderte die Bundesstaatsanwalt auf, in den Ermittlungen tätig zu werden: Die Öffentlichkeit müsse wissen, welche Maßnahmen die Regierung unternähme, um – nicht nur in Ferguson/MO, sondern auch in Zukunft – exzessive oder unnötige Polizeigewalt zu verhindern.
Der Fall Michael Browns ließ Erinnerungen an die Ermittlungen im Fall des tötlich verletzten Trayvon Martin wach werden. Die Sachlage war jedoch eine andere, da in Florida die Polizei nicht direkt involviert war. Es ging damals um den Nachbarsmann George Zimmerman, der die tötlichen Schüsse auf den 17-jährigen Trayvon Martin abgegeben hatte. In Florida galt zudem das Gesetz Stand Your Ground.
In der Zwischenzeit recherchiert die Bundesstaatsanwalt im Fall Micheal Brown parallel. Die „Grand Jury“ (Anklagekammer) wird der Frage nachgehen, ob der Todesschütze, Officer Darren Wilson, die Grundrechte des Teenagers verletzt und in Willkür gehandelt hat. Ein Anfangsverdacht hätte eine Anklage zur Folge.
Justizminister Eric Holder (63) ist, ähnlich wie Präsident Barack Obama, „of mixed origin“. Er weiß aus Erfahrung, was es heißt, Kriminalisierungen ausgesetzt zu sein. Als Kind der Bürgerrechtsbewegung wuchs er mit Bildern von Gewalt in Selma/Alabama auf und nahm später an Sit-ins an der Columbia University teil. Jetzt, in seinem hohen Amt, drängt er zu politischen Veränderungen. Er zeigte sich besorgt um die amerikanische Strafjustiz.
5. Overpoliced and underprotected: Hintergründe
Bei den Protesten in Ferguson/MO ging es um mehr als das Shooting, die Militarisierung der Polizei, um einen fairen Prozess. Dies waren Etappen in einem Prozess, bei dem es um die Einlösung des Versprechens ging, das der erste „nicht-weiße“ US- Präsident gegeben hatte: die Realisierung einer „non-racial society„. Aber US-Amerika ist eine gespaltene Nation.
1967 gründete der damalige US-Präsident Lyndon B. Johnson einen Ausschuss, der als Kerner Kommission bekannt wurde und dessen Aufgabe es war, die Ursachen für die Unruhen 1967 zu recherchieren und Empfehlungen für die Zukunft abzugeben. Im Februar 1968 kam die Kommission zu dem Schluss: „Unsere Nation bewegt sich auf zwei Gesellschaften hin – eine schwarze und eine weiße – getrennt und ungleich.“ („Our nation is moving toward two societies — one black, one white — separate and unequal.“) Hat sich diese Situation bisher verändert?
Vielleicht in Nuancen, aber – wie es scheint – nicht grundsächlich. 2012 veröffentlichten Tavis Smiley und Cornell West ihren Bericht The Rich and the Rest of Us, A Poverty Manifesto. (New York: Smiley Books, 2012) Michelle Alexander schrieb über The New Jim Crow. Ihr Buch enthält u.a. eine Analyse, wie der sog. Drogenkrieg gezielt afroamerikanische Männer ins Visier nahm, sie als „Verbrecher“ brandmarkte und damit ihnen um vieles schwerer machte, im weiteren Leben zurechtzukommen: z.B. eine angemessene Anstellung zu finden, an Wahlen teilzunehmen, eine häusliche Bleibe (housing) zu finden, von Bildungsmöglichkeiten zu profitieren. Zu ihren auffälligsten Beobachtungen gehört, dass im Jahr 1981, als Ronald Reagan Präsident war, weniger als 2 Prozent der amerikanischen Öffentlichkeit Drogen als die wichtigste Frage empfanden, die die Nation lösen müsse. 1989 waren es schon 64 Prozent, u.a. aufgrund einer sensationspressegesteuerten und rassistisch motivierten Medienkampagne. Es hätte, laut Alexander, die Möglichkeit gegeben, auch in den nicht-schwarzen fraternities and sororities der amerikanischen Colleges Razzien durchzuführen, um Vergleichsmaterial zu haben, was aber nicht stattfand. StudentInnen, in der Regel Weiße, galten im behördlichen Bewusstsein nicht als potentielle Kriminelle, halt nur als Kids, die Drogen ausprobierten, von denen aber keine Gefahr für die Öffentlichkeit ausging.
Marginalierung und Diskriminierung äußern sich heute in den USA in alltäglichen Situationen. Da werden plötzlich schwarzamerikanische Bürger von Ordnungskräften angehalten, wie im Fall Michael Browns in Ferguson. Der Begriff dafür ist „racial screening“ oder „racial profiling“. Es betrifft besonders junge schwarze Männer in den USA. Zugrunde liegt die Vermutung, dass junge schwarze Männer ein Gefahrenpotential für die Gemeinschaft darstellen. Das reicht von Vorstellungen wie der Figur des schwarzen Vergewaltigers bis hin zur Figur des schwarzen Kriminellen. Junge schwarze Männer stehen offenbar unter dem Generalverdacht, potentiell kriminell und gewalttätig zu sein, obwohl es dafür nachgewiesenermaßen keinerlei empirische Beweise gibt.
Dieses Vorurteil hat eine Geschichte. Es geschichtlich herzuleiten, versucht Ross Gay in „Some Thoughts On Mercy“:
As abolition became a real possibility in the nineteenth century, a mythology about black-male criminality was crafted by proponents of slavery, and that myth was then amplified after emancipation. Our current prison system, and the “drug war” that is responsible for that system’s status as the largest in the world, actively cultivates the same story of a unique criminal blackness. I put “drug war” in quotes, because, as Michelle Alexander points out in her brilliant book The New Jim Crow: Mass Incarceration in the Age of Colorblindness, if there were a true War on Drugs, then “people of all colors, . . . who use and sell illegal drugs at remarkably similar rates,” would be incarcerated at very nearly the same rate. ….
6. Die non-racial society, die US-Medienöffentlichkeit und die Option des Präsidenten für einen politischen Pragmatismus
Als erstem schwarzamerikanischen US-Präsidenten stand Barack Obama in der Verantwortung, etwas für die farbigen communities tun zu müssen. Er hat sich für sie eingesetzt, auch wenn es nicht spektakulär wahrgenommen wurde. Gleichzeitig stand er auch, qua Amt, in der Pflicht, Präsident aller AmerikanerInnen zu sein: eine Gratwanderung, wenn man sich die Mehrheiten im Kongress und dem Senat vor Augen hält. Obama äußerte sich zu den Ereignissen in Ferguson zurückhaltender als zuvor, wenn es in der Vergangenheit um „rassenbedingte“ Konflikte ging. Obamas Stellungnahme wurde aufs Heftigste kritisiert, nicht nur in den Medien, sondern auch in den schwarzen communities. Selbst den wohlwollendsten KommentatorInnen war seine Ferguson-Rede zum Tod Michael Browns zu verhalten, zu unentschieden. Sie hätten sich eine dezidiertere Stellungnahme ihres Präsidenten zu den Ereignissen in Ferguson gewünscht. Statt dessen beschwichtete er. Die USA seien ein Rechtsstaat, sagte er in seiner Rede. Das gelte für die Bürger ebenso wie für die Sicherheitskräfte. Und deshalb sei es geboten, Wunden zu heilen, statt zu zu schlagen. Ausgewogen, staatstragend, politisch korrekt und – von manchen so gesehen – „blutleer“ sei das Statement des amerikanischen Präsidenten dahergekommen und stehe in scharfem Kontrast zu den Bildern und Berichten, die aus der Kleinstadt in Missouri in die Welt gesendet würden.
Obama hatte am Anfang seiner präsententiellen Karriere das Motto einer post-racial society ausgegeben, die drauf und dran wäre, verwirklicht zu werden. In seiner Präsidentschaft hatte er sich immer wieder mit Statements zur amerikanischen Rassenlage geäußert. So u.a. auch mit seinem Statement anlässlich der Ereignisse im Fall des schwarzamerikanischen Jugendlichen Trayvon Martin, der in Florida von dem Wachmann George Zimmerman getötet wurde. Damals sagte er, das hätte mir auch passieren können.
Die rechts-orientierte, aber auch gelegentlich die mainstream-Presse in Amerika, hatte in der Vergangenheit Obamas Äußerungen wenig sympathisch begleitet. Wenn sich Obama daher jetzt im Fall der gewaltsamen Tötung Michael Browns zurückhielt, mag es damit zu tun haben, dass er nicht wieder der rechtsorientierten Presse in den USA Zündstoff geben wollte für eine Wiederauftischung alter anti-demokratischer Argumentationen.
Es stimmt nicht, dass das „Weiße Haus“ in der Amtzeit Obamas nichts für die Förderung schwarzamerikanischer communities getan hätte. Es gab die Initiative „My Brother’s Keeper“, in der es darum ging, die communities zu stärken. Es ist ein gutes Projekt, aber seine Wirkung ist begrenzt. Ein solches Projekt hat nur dann eine Chance, wenn in communitities die Kommunikationskanäle zwischen der örtlichen Regierung und den communities stimmen, was aber im Fall Ferguson nicht der Fall war.
7. No Justice, No Peace – Eine zerbrechliche Ruhe
Die Demonstranten in Ferguson trugen Plakate mit der Aufschrift: „Ohne Gerechtigkeit keinen Frieden“ (No justice, no peace). Wenn es nicht gelänge, das ökonomische und soziale Ungleichgewicht zu korrigieren, werde es keinen Frieden geben.
Die alten Vorurteile lasten schwer. Sie sind, nach Gay, eine emotionale und psychische Last, die ungeheure Ressourcen verschlinge, was sich lähmend auf das Wohlbefinden der communities auswirke:
I shudder at the emotional and psychic burden we’ve laid on the young black and brown New Yorkers — so many of them children — being profiled in that city’s “stop-and-frisk” program. One man featured in a New York Times video speaks with courage and dignity about having been stopped as a teenager “at least sixty to seventy times.” Another, in a video made by The Nation, talks about having been roughed up for “looking suspicious” and called a “mutt.” Eighty-seven percent of stop-and-frisk targets are black or Latino, though blacks and Latinos constitute only about half of New York City’s population. How, when their city believes them to be criminal, do these young people escape believing the same of themselves?
Wäre es denn wirklich so eine gigantische (gargantuan) Aufgabe, Dinge zuzugestehen ?
Isn’t it, for them, for us, a gargantuan task not to imagine that everyone is imagining us as criminal? A nearly impossible task? What a waste, a corruption, of the imagination. Time and again we think the worst of anyone perceiving us: walking through the antique shop; standing in front of the lecture hall; entering the bank; considering whether or not to go camping someplace or another; driving to the hardware store; being pulled over by the police. Or, for the black and brown kids in New York City, simply walking down the street every day of their lives. The imagination, rather than being cultivated for connection or friendship or love, is employed simply for some crude version of survival. This corruption of the imagination afflicts all of us: we’re all violated by it. I certainly know white people who worry, Does he think I think what he thinks I think? And in this way, moments of potential connection are fraught with suspicion and all that comes with it: fear, anger, paralysis, disappointment, despair. We all think the worst of each other and ourselves, and become our worst selves.
Was wäre, wenn wir (i.e. Americans) einfach nur diese Angst akzeptierten, wie schrecklich oder beschämend sie auch sein mochte:
But what if we acknowledged those fears, regardless of how awful or shameful they are? What if we acknowledged this country’s terrible and ongoing history of imagining its own citizens — indigenous, black, Japanese American, Arab American, Latino — as monsters? What if we acknowledged the drug war, and the resulting mass incarceration of African Americans, and the myriad intermediate crimes against citizens and communities as a product of our fears? And what if we thereby had to reevaluate our sense of justice and the laws and procedures and beliefs that constitute it? What if we honestly assessed what we have come to believe about ourselves and each other, and how those beliefs shape our lives? And what if we did it with generosity and forgiveness? What if we did it with mercy?
„We Shall Overcome“ lautete die Botschaft der DemonstrantInnen. Es mag zynisch klingen, aber: Irgendwann wird der demografische Faktor greifen. In vielen Gemeinden in den USA hat sich das Verhältnis von Mehrheit und Minderheit bereits verändert. Das wird sich in Zukunft auch in den demokratischen Institutionen widerspiegeln.
Zitierte Literatur
Boehlert, Eric. „His Ferguson statement was milquetoast by design. Obama can’t speak on race relations without the right going nuts.“ http://www.salon.com/2014/08/21/how_fox_news_silenced_obama_on_race_partner/
Boyarsky, Bill. „Ferguson Exposes America’s Enduring Legacy of White Bigotry.“ http://www.truthdig.com/report/item/ferguson_exposes_americas_enduring_legacy_of_white_bigotry_20140821
CBS St.Louis. “Police: Teen Fatally Shot By Ferguson Officer Was Suspect In Convenience Store Robbery” (August 15, 2014) http://stlouis.cbslocal.com/2014/08/15/state-troopers-walk-side-by-side-with-thousands-of-protesters-in-ferguson/
Gay, Ross. „Some Thoughts On Mercy“.http://thesunmagazine.org/issues/451/some_thoughts_on_mercy?page
Heiser, Jürgen. „Scheinbare Ruhe – Ferguson: US-Justizminister Holder macht sich ein Bild von der Lage. Sicherheitskräfte halten sich zurück“. http://www.jungewelt.de/2014/08-22/036.php
© Ingrid Kerkhoff, 2014