Liebe in Zeiten der Globalisierung
Adichie, Americanah: CoverIn ihrem dritten Roman thematisiert Chimamanda Ngozi Adichie Facetten, Ausprägungen und Auswirkungen von Globalisierung am Beispiel einer Love-Story zwischen Ifemelu und Obinze, zweier College Students, die zur Zeit der Abacha-Diktatur in Nigeria groß wurden und die es trieb, der – wie sie es nannten – „Chancenlosigkeit“ in ihrer Heimat zu entfliehen und im westlichen Ausland nach Lebensalternativen zu suchen. Inspiriert durch westliche Literatur und TV-Sendungen meinen sie, in den USA das Land ihrer Träume zu entdecken, und als Ifemelu ein Stipendium erhielt, das es ihr ermöglichen würde, ihre Post Graduate Studies abzuschließen, nahm sie das Angebot gerne an. Obinze, so war verabredet, sollte später nachkommen. Aber die Zeitläufte änderten sich. Nach 9/11 bekam Obinze kein Aufenthaltsvisum mehr für die USA, und er ging stattdessen nach Britannien. Der Roman entfaltet ihrer beiden Lebensgeschichten, aus der Sicht von Ifemelu als Protaginistin und „allwissende“ Erzählerin. Er beginnt mit Ifemelus Entschluss, permanent nach Nigeria zurückzukehren. Die Erzählerin sitzt in einem von schwarzen Frauen betriebenen Frisörstudio, wo sie sich ihr Haar für die Heimkehr richten lassen will. Ihre Gedanken meandern in Schleifen zurück, in die Vergangenheit, und aber auch vorwärts, in die Zukunft.

 

Zwei Odysseen auf drei Kontinenten

Einmal in den USA angekommen, traf Ifemelu – voraussehbar – nicht auf das Land ihrer Träume. Sie musste sich finanziell durchschlagen, sich von Tag zu Tag neu organisieren, um „über Wasser“ zu bleiben. Eine Verwandte, Auntie Uju, so will es die Geschichte, half ihr ein Stückweit dabei. Sie war die ehemalige Geliebte des nigerianischen Präsidenten, der dann jedoch bei einem Flugzeugunglück ums Leben kam. Die ausgebildete Krankenschwester, die von einem Hospital träumte, in dem sie sich und ihre Träume verwirklichen konnte, ging – als Ausweg – in die USA und fing dort ein neues Leben an. Auntie Uju gibt Ifemelu den wohlgemeinten Rat, sich anzupassen, um in den Staaten reüssieren zu können. Ohne Anpassung liefe nichts.

Zunächst experimentierte Ifemelu auch mit unterschiedlichen Formen der Anpassung. Sie  glättete ihre Haare, hatte einen „weißen“ Lover“. Bei ihrem Versuch, sich weniger als Außenseiterin zu fühlen, ahmt sie einen (weißen!) amerikanischen Akzent nach. Als sie merkt es ihr gelingt, fühlt sie sich gut, dann aber kommen ihr Zweifel. 

Spätestens nach einer dubiosen Affaire mit einem Tenniscoach wacht sie auf. Sie hatte für sich das Bloggen entdeckt und einen erfolgreichen „Life Style“-Blog mit dem provokanten Titel Raceteenth or Various Observations About American Blacks (Those Formerly Known as Negroes) by a Non-­American Black. Ein sensibles Thema, da sich zwischenzeitlich die USA aus offizieller Sicht als „post-racial society“ definierte. Heißt im Klartext: Rassismus gäbe es in den USA nicht,  spätestens seit der Wahl eines schwarzamerikanischen Präsidenten gehöre das Thema der Vergangenheit an ( Stichwort: post-racial society).  Ifemulus Life-Style Blog gewinnt eine stetig wachsende LeserInnenschaft. Sie wird als Internet celebrity zu Vorträgen eingeladen. Dennoch belastet sie der „Zement in ihren Herzen“, und sie beschließt, nach Nigeria zurückzukehren, für immer.

Und was wurde zwischenzeitlich aus Obinze, dem Jugendfreund, der nach GB gegangen war?  Obinze hatte sein Aufenthaltsvisum nicht verlängert mit der Konsequenz, dass er sich als „Illegaler“, politisch korrekter: als  „undocumented immigrant“, in London durchschlagen musste.  Bisweilen unter erniedrigenden Konsequenzen. Bisweilen trifft er auf  Freunde von zuhause, die es Britain geschafft hatten. So Emenike, die einen reichen Rechtsanwalt heiratete. Sie lädt Obinze zu einer dinner party in Islington ein. Gäste, mit denen er ins Gespräch kommt, können nicht verstehen, weshalb er sich nicht als politisch Verfolgter (asylum seeker) versteht: “They would not understand why people like him, who were raised well-fed and watered but mired in dissatisfaction, conditioned from birth to look towards somewhere else and eternally convinced that real lives happened in that somewhere else, were now resolved to do dangerous things, illegal things, so as to leave, none of them starving, or raped, or from burned villages, but merely hungry for choice and certainty.” Als Obinze schließlich in die Mühlen des Gesetzes gerät, wird er nach Nigeria abgeschoben. Es gelingt ihm jedoch, mit Hilfe eines dubiosen Tycoons names Chief in seinem Heimatland zu einem erfolgreichen Immobilienhändler aufzusteigen. Er ist zwischenzeitlich mit Kosi verheiratet und hat eine kleine Tochter, Buchi. Beide, Ifemelu und Obinze begegnen sich wieder.

Life Style-Blogposts als Stilelement

Ifemelus Erfolg in den USA basierte auf einem populären „Life-Style“ Blog.  Obwohl sie – ihrem Anfangsstatement zufolge – sich den vier Arten des,  wie sie es nannte – „American tribalism“  widmen wollte, nämlich „class, ideology, region, and race,“ ging es hautsächlich um race.  Ausgangspunkt:  „I did not think of myself as black,“ sagt sie da,  „and I only became black when I came to America.“  Wo immer sie in der Stadt unterwegs ist: Alle Erfahrungen, die sie macht, versucht sie, unmittelbar in blogtaugliche Titel zu verwandeln. Hier ein paar Blockpost-Titel: <<???>>

Der Ton is bisweilen didaktisch: „Stop telling Americans you are Jamaican or Ghanaian“ ermahnt sie  ihre Non-African-American Leserschaft“To My Fellow Non-American Black: In America, You Are Black, Baby, because “America doesn’t care”:  “You must nod back when a black person nods at you in a heavily white area. It is called the black nod … If you go to eat in a restaurant, please tip generously. Otherwise the next black person who comes in will get awful service, because waiters groan when they get a black table. You see, black people have a gene that makes them not tip, so please overpower that gene.”

Eine bunte Romangesellschaft

Neben Ifemelo und Obinze als Protagonisten gibt es ein ganzes Tableau von Charakteren.  Manche sind stärker, andere weniger stark gezeichnet. Die weiblichen Charaktere  erhalten stärkere Aufmerksamkeit als den männlichen. Neben der erwähnten Auntie Uju ist da auch Shan, die sich für eine angehende Autorin hält, Sie ist Blaines Schwester.  Ihr Urteil über Ifemelu:  Sie habe Erfolg “(b)ecause she’s African. She’s writing from the outside. She doesn’t really feel all the stuff she’s writing about. It’s all quaint and curious to her. So she can write it and get all these accolades and get invited to give talks. If she were African-American, she’d just be labelled angry and shunned.”  Und dann ist da Kozi, Obinzes Ehefrau, aus der Sicht der Erzählerin die perfekte Angepasste, die nichts hinterfragt, der es einzig um den gesellschaftlichen Schein geht, und die selbst, als Obinze ihr eröffnet, dass er sich trennen will, die Contenance behält, so als wäre nichts geschehen.

Der letzte Teil wird oft vernachlässigt: Americanah in der Kritik

Americanah ist Adichies dritter Roman. Ihm gingen zwei andere, von der kritischen Öffentlichkeit mit viel Lob versehene Romane voraus: Purple Hibiscus (deutsch: Blauer Hibiskus, übersetzt von Julia Schwaab) und Half of a Yellow Sun (deutsch: Die Hälfte der Sonne). Beide Romane hatten einen nigerianischen Kontext. Mit Americanah nimmt Adichie einen globalen Kontext in den Blick: In quasi epischer Weise thematisiert sie, was es in Zeiten der Globalisierung heißt, als Wander/in zwischen Welten unterwegs zu sein. Für den New Statesman-Rezensenten erzählt der Roman eine „defamiliarized version of western society, seen through African eyes.” Ein anderer Rezensent bezeichnete ihn als das perfekte literarische Gegenstück zur derzeit global diskutierten Rassismusdebatte.

Entweder RezensentInnen mögen den Roman, weil sie die Thematik spannend finden und für die Darstellungsmittel von fiktionaler Literatur sensibilisiert sind oder sie mögen ihn nicht. Letzteres trifft auf den Rezensenten des  Wall Street Journal, der mit dem Roman offenbar nichts anfangen konnte, sich aber dennoch gemüßigt sah, sich zu ihm zu äußern. Was ihn besonders zu ärgern schien, sind die Inhalte der einzelnen Life-Style Blogs, in denen Ifemelu versucht, Überlegungen einzufangen, die sie  bewegen. Auf einer dinner party in Manhattan sagt sie am Tag nach der Wahl Barack Obamas zum US- Präsidenten: „We all wish that race was not an issue  … But it’s a lie. I came from a country where race was not an issue, I did not think of myself as black and I only became black when I came to America.” Sie schreibt aus der persönlichen Sicht einer jungen Schwarzen, einer nicht-African-American, die sich in eine peinlichst-destruktive Kritik verennt, deren Motor ein gekränktes politisches Bewusstsein zu sein scheint. Das jedoch just das ist, das die Erzählerin von Americanah in Frage stellt. Aber auch positiv eingestellte KritikerInnen melden Bedenken an, so beispielsweise Joseph Omotayo, für den die Blogposts als Stilelement verzichtbar sind. Sein Votum: Der Roman funktioniere auch ohne diese Blogposts.

Generell wird in Kritiken wenig Bezug auf den dritten Teil des Romans genommen, beginnt er doch mit dem Entschluss der Protagonistin und Erzählerin, permanent nach Nigeria zurückzukehren. Sie wird zu einer „Americanah“, wie NigerianerInnen die returnees nennen, die nach einem USA-Aufenthalt nach Nigeria zurückkehren und sich mit ihren Meinungen nicht zurückhalten.

Fazit

Americanah ist ein wichtiger Roman. Schade nur, dass die Autorin keinen besseren  Verlagslektor oder bessere Verlagslektorin fand, der/die ihr geholfen hätte, die Akzente, die sie setzen wollte, deutlicher zum Ausdruck zu bringen. Der Roman hat Längen, besonders im Mittelteil, in dem sich die Erzählung zäh dahinschleppt.  Er ist am überzeugendsten da, wo es um die „characters in transit“ (Begriff  via  Barnes Rezension) geht; wo sich um sich Menschen handelt, die sich in für sie neuen Kontexten wiederfinden, die ihnen Entscheidungen abverlangen. Oder, um Adichie zu zitieren, wo es um  self-invention und re-invention Voraussetzungen geht.  Ob das Ende der Love Story nun wirklich so sein musste wie es ist, die Außenseiterin und ihr Jugendfreund, der sich mittlerweile erfolgreich im neuen Etablishment tummelt. Nun ja.

Wer internet-mäßig unterwegs und sich einlesen möchte: hier der Link zu Americanah auf Google Books.

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