1.
A Tale of Tsuris: Ein konformer Staatsbürger wird zum Staatsfeind
Bildkommentar: Cover (Screenshot der Simon&Schuster-Ausgabe)
Tsuris, so lernen wir zu Beginn des ersten Kapitels, bedeutet im Yiddischen trouble.
Protagonist in Steve Israels politischer Satire ist Morris Feldstein, ein Pharmaverkäufer, der für die (fiktiven) Celfex Laboratories in West Long Island arbeitet. Sein Lebensmotto: Konflikte zu vermeiden: „not to make waves“. Seine Lieblingsbeschäftigung nach der Arbeit: die Spiele der New York Mets zu verfolgen. Er liebt seine Frau Rona, beide sind jahrgangsmäßig in den späten 50ern und seit Dekaden als Paar verbunden. Morris ist der Typ, der einfach nur seine Ruhe haben möchte: Die Welt zu verändern überlässt er seiner Ehefrau. Beide haben sich über die Jahre paarmäßig arrangiert. Dann aber gerät dieser Morris Feldstein durch einen lapidaren „Fehler“ in den Fokus des nationalen Überwachungsrechners und wird zum Staatsfeind.
Israel hat aus den Erfahrungen, die er als Politiker der demokratischen Partei in den USA und Mitglied des Repräsentantenhauses, der in vielen Gremien saß, eine literarische Polit-Satire gemacht. Im folgenden geht es darum, Überlegungen darüber anzustellen, was ihn dazu bewegt haben mochte. PolitikerInnen traut man nicht unbebedingt ein Engagement für ein literarisches Genre zu, schon gar nicht einen geschickten Umgang mit literarischen Mitteln. Es wird daher darum gehen, kurz dazustellen, wie der Politiker Steve Israel als Schriftsteller verfährt, wie er mit den literarischen Mitteln, die für fiktionale Literatur zur Verfügung stehen, umgeht. Zu Wort kommen werden auch frühe Rezensionen, unterstützende wie kritische, die mitunter spannende Debatten auslösen könnten: All dies aus der Sicht einer US-affinen Leserin, die sich die Frage stellt, wo sie jenseits aller Überlegungen zur „politischen Korrektness“ einfach nur lachen kann und wo sie nachdenklich wird.
Bisher (Mai 2015) ist der Roman noch nicht ins Deutsche übersetzt worden.
2.
Meeting Morris Feldstein: Der Anpasser, der einfach nur seine Ruhe haben möchte
Das Leben des Morris Feldstein, Iraels Protagonist, verläuft in geordneten Bahnen. Automatisch, roboterhaft. In Kap. 3 („Morning with Morris“) beschreibt Israel den Tagesablauf von Morris. Über Jahre, über Jahrzehnte, die gleiche Routine, alltagserprobt. Not to make waves. Selbst wenn er im Flieger mit seiner Frau Rona ferienmäßig unterwegs ist, scheut er sich, seinen Sitz zurückzustellen: Es könnte ja womöglich den Mann oder die Frau hinter ihm ärgern.
Die Tagesnachrichten verfolgt Morris mit distanziertem Interesse. Sie berühren ihn nicht; er möchte nicht darüber diskutieren. Das überlässt er Rona, die es zwischenzeitlich aufgegeben hat, ihn zu verändern. Die Welt zu verändern scheint für sie leichter zu sein als ihren Ehemann zu verändern. Sie ist von Berufs wegen Therapeutin. Morris hat sich mit ihr arrangiert. Neben seiner Vorliebe für die New Yorker Mets schaut er sich gerne nach seiner Arbeit alte Schwarzweißfilme an: „He wanted to watch movies to escape the world.“ Diese Vorlieben schotten ihn von der Wirklichkeit ab. Dann aber gerät dieser Morris Feinstein, Inbegriff eines angepassten Langweilers, durch einen peinlichen Zufall in die Fänge des streng geheimen Überwachungsprogramm der Regierung namens NICK.
3.
Für Dick Cheney und seinen Vater, der den früheren Vizepräsidenten nicht sonderlich mochte
Der Roman besteht aus 52 Kurzkapiteln, in 5 „Büchern“ angeordnet. Aus literarischer Sicht ist es, wenn man so will, ein Quilt, zusammengefügt durch Impressionen, die – literaturwissenschaftlicher Jargon – aus der Sicht eines „allwissenden“ Autors geschrieben sind, der sich abwechselnd den Figuren zuwendet und versucht, in deren Psyche zu schauen.
Die Widmung des Buches lautet: „To former vice president Dick Cheney. And to my dad, who didn’t particularly care for him.“ Auf die Widmung in Interviews angesprochen, gab Israel ein paar Fakten zu seinem kurz zuvor verstorbenen Vater preis, wie seine Haltung war, wozu er ihn, den Sohn, ermutigt habe, dass er all dessen Öffentlichkeitsauftritte verfolgt habe (z.B. bei Fox News oder CNN) und ihm anschließend Mails geschickt habe: „Du warst nicht progressiv, nicht liberal genug“.
In seinem Debütroman setzt sich Israel mit Aspekten der Innenpolitik der George W. Bush-Administration (2004-2008) auseinander, die er als Zeitzeuge hautnah in seinem Amt als Senatsabgeordneter und Mitglied diverser Kommissionen miterlebte. Die Bush-Administration war nicht nur dafür verantwortlich, dass sich die USA im Namen des sog. „Kriegs gegen den Terrorismus“ (The War on Terror) nach 9/11 in einem völkerrechtlichen Alleingang in den Irakkrieg stürzten, sondern auch dafür, dass verfassungsmäßig garantierte Bürgerrechte (Fourth Amendment) im Sinne der sog. „nationalen Sicherheit“ im eigenen Land eingeschränkt wurden. Stichwort: Patriots Act. („7 Critical Pros and Cons of The Patriot Act“). Israel geht davon aus, dass es eine Balance geben müsse zwischen den ernstzunehmenden Bedürfnissen einer Gesellschaft nach National Security einerseits und den verfassungsmäßig garantierten freiheitlichen Persönlichkeitsrechten (liberty). Dieser Balance-Akt – so Israel u.a. in der Politics & Prose-Präsentation seines Buches – müsse in jeder historischen Situation erneut ausgehandelt werden.
Der Roman spielt zwischen 2004 und 2008, meist 2004. Der Präsident bleibt im Hintergrund. Ins Visier geraten die Figuren aus seiner Entourage: Karl Rove (Wikipedia) Lewis „Scooter“ Libby (Wikipedia) und – vor allem – Richard Cheney. Dick Cheney war damals entscheidend dafür verantwortlich, dass dem amerikanischen Publikum vermittelt werden musste, dass der Irak über Massenvernichtungswaffen verfüge, was sich später als Falschaussage herausstellte.
Steve Israel ist seit 2000 Kongressabgeordneter der Demokratischen Partei. Er saß in Meetings, hörte sich die Debatten an, machte sich Notizen: “I would sit in national security briefings and hear people like President (George W.) Bush and Vice President (Dick) Cheney say things that seemed absurd.” Israel hat keinen stromlinienförmigen politischen Werdegang. Anfangs habe er als demokratischer Abgeordnender den Patriots Act unterstützt, und später sei er auch in Fox News aufgetreten. Dann aber entschied er sich, eine politische Satire über die „Korridore Macht“ in US-Amerika zu schreiben: “I wrote it because I would see and hear things inside Congress that were so inane that I had to find a way to share it with the public,” sagte er “The best way to share those reflections is through biting satire, and that’s what this book is.”
4.
Ein kleiner Fehler mit maximalen Folgen
NICK ist in Steve Israels fiktionaler Polit-Satire ein gigantischer Supercomputer. Das Kürzel steht für “The Network Centric Total Information Collection, Integration, Synthesis, Assessment, Dissemination, and Deployment System.” Was NICK kann: Auf der Basis von bereitgestellten Überwachungsdaten wertet er nach bestimmten Parametern – heute würde sagen: Selektoren -, die er u.a. aus den Stichwörtern einer weltweit führenden Suchmaschine abgeleitet hat, Informationen über Staatsbürger und Staatsbürgerinnen aus. So fällt NICK beispielsweise auf, wenn eine überwachte Person plötzlich durch ein ungewöhnliches Verhalten auffällig wird. Morris gerät in die Mühlen von NICK, als er sich in einer für ihn untypischen Weise, aus welchen Gründen auch immer, mit der Rezeptionistin einer der Arztpraxen, die er auf seinen Handlungsreisen in Sachen Pharmaprodukte bereiste, zu einem Rendezvous in einem Motel in Long Island getroffen und die Stundenmiete mit seiner Firmenkreditkarte bezahlt hatte. NICK beginnt fortan, Morris zu „recherchieren“: die unterschiedlichen und nur lose miteinander in Verbindung stehenden Stränge in seinem Leben, die seiner Freunde, seiner Familie, seine Verkehrsverstöße, die politischen Neigungen seiner Tochter, die Leute, mit denen seine Frau Rona zu tun hatte. Dabei gerät besonders Rona ins Visier des nationalen Überwachungscomputers, weil sie als Therapeutin eine Gruppe junger Muslime aus Kuweit betreute, mit denen sie bei einem zweiwöchigen Business-Trip nach Forida im „Paradise Hotel“ Kontakt hatte. U. a. Hassan, der als Towel Attendant für die Zufriedenheit der Hotelgäste in Sachen Handtücher am Pool zuständig war.
5.
Full-Time Politician, Parttime Novelist: Zur Motivation, eine politische Satire zu schreiben
Bildkomentar: Erst das Blackberry, dann das iPhone. Rep. Steve Israel nutzte es, um Eindrücke, die er in seinem Hauptjob als Politiker sammelte, festzuhalten.
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Es ist für einen Politiker oder eine Politikerin eher untypisch, sich in den Bereich der fiktionalen Literatur zu begeben. Aufgewachsen auf Long Island South Shore in den 1960er und 70er Jahren, hatte der demokratische US-Kongressabgeordnete Steve Israel (Wikipedia, Facebook, Twitter: RepStevesrael; SteveIsraelNY), wie er in Interviews sagte, drei Träume: in den US-Kongress gewählt werden (was ihm gelang), für die New York Mets zu spielen (wozu ihm die nötigen Fähigkeiten fehlten) und einen Roman zu schreiben: „Es hat mir immer Spaß gemacht zu schreiben, meine Meinungen vor allem durch Humor auszudrücken, das war wirklich eine Form der Therapie für mich“, sagte Israel, 56, bei einer Signierstunde im Barnes & Noble Store in Manhasset. Im Originalzitat: „I’ve always enjoyed writing, and being able to express my opinions, particularly through humor, was really a form of therapy for me. … And these days, Congress could use a lot of therapy.”
The Global War on Morris ist nicht Steve Israels einziger Ausflug ins literarisch-satirische Genre. Zuvor hatte er Satirisches für den New Yorker gschrieben, und er hat eine regelmäßige Kolumne in der Huffington Post (vgl. „Kings of the Hill“). Mit seinem Debütroman geht er einen Schritt weiter, arbeitet großflächiger. Bei einer Werbeveranstaltung für seinen Erstlingsroman im Gold Coast Arts Center betonte Israel einen weiteren Aspekt, der für ihn dabei wichtig war: Wählerschaften zu erreichen, die durch eine fiktive Darstellung eher erreicht würden als durch eine konventionelle sachliche Berichterstattung.
Die Basismaterialien sind nach Aussagen des Autors auf seinem Cell Phone entstanden. Später habe er sie an seinen Email-Account geschickt, um sie endredigieren zu können. Aber es habe ihm für eine literarische Satire noch eine Story gefehlt, in die er seine Erfahrungen einbinden konnte. Die Inspiration sei ihm gekommen, als er als Politiker erfuhr, dass eine Gruppe älterer Quaker ins Visier der staatlichen Überwachungsbehörden gerieten. Die Überwachungsagenturen hatten Verdacht verdacht geschöpft. Für den Politiker Steve Israel schwer vorstellbar. Mit den Quakern, so Israel, der Schriftsteller, kannte er sich aber nicht aus; wohl aber habe er sich vorstellen können, wie es einem unbescholtenen Menschen, der alles tut, um nicht aufzufallen und einfach nur in Ruhe gelassen werden möchte, zumute war, wenn er/sie plötzlich ohne triftigen Anlass in die Mühlen der High-Tech-Überwachungs-Apparaturen gelangt und plötzlich auf der Liste der Top-TerroristInnen landet. Die Geschichte mit den friedlichen Quakern, die plötzlich des Terrorismus verdächtig wurden, sei die Geburtsstunde seines Protagonisten Morris Feldstein gewesen.
6.
Zur politischen Satire und ihren aufklärerischen Potentialen
Bildkomentar: Dick Cheney-Karikatur.
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Im allgemeinen Verständnis ist die literarische Satire ist ein Genre, das durch Spott, Ironie und Übertreibung Personen, Anschauungen, Ereignisse oder Zustände darstellt. Hier eine kürzliche Definition, die die vielen Aspekte „auf den Punkt“ bringt:
Die Spottdichtung – der Urknall der Satire – deckt Missstände in überspitzter und humoresker Form auf und wahrt dabei eine ästhetische Form. Satire ist alles andere als reine Unterhaltung, sondern sie verfügt in hohem Maße über herrschaftskritisches und investigatives Potential. Sie ist subversiv und hält den Mächtigen einen Spiegel vor, indem sie das Absurde und das Groteske betont. Gleichermaßen richtet sie sich an alle und appelliert an die Empörungsfähigkeit der Bürgerinnen und Bürger. Somit ist Satire nichts anderes als verdichteter Journalismus. (Tobias Franz, „Die Rolle der Satire in der Demokratie“, 23.10.2014)
Als literarisches Genre stehen der politischen Satire viele „Bausteine“ zur Verfügung, die sie geschickt zur Gestaltung ihres Themas anwenden kann, z. B. die einführende Beschreibung von Figuren:
Well, there he was at the far end of the room, leaning on his desk, his arms spread and his wrists locked, Vice President Richard Cheney. The editorial cartoons didn’t do Cheney justice. They didn`t capture the permanent sneer, the upturned lip that made it look like he was always on the verge of spitting from the side of his face, the way he seemed to duck his chin beneath his collar, like a turtle retreating into its shell, the thinning white hair above the skeptical eyes. He was all the more frightening in person. (Kap. NICK)
Das Bild, so Israel im Interview mit Christ Matthews, sei entstanden, als er in seiner politischen Funktionen an den Briefings mit Präsident Bush und Vizepräsident Cheney im Vorfeld des Irak-Krieg teilnahm.
Ein anderer Baustein literarischer Genres ist das setting, die Evokation von Raum und Zeit. Libby und Rowe, die Cheney-Berater, fahren in einem Regierungswagen in die „streng geheime“ NSA-Festung in Fort Meade, Maryland. Während der Fahrt gibt es unter den beiden ein Hierarchiegeplänkel, was wer wem über den „geheimen“ Ort hätte mitteilen müssen, ein Gespräch, das sich spätestens dann erübrigt, als der „allwissende“ Autor den Lesenden einen Blick nach draussen, auf die Richtungsschilder ermöglicht. Libby und Rove fahren in den Regierung-Bunker ein: Code-Name COG. COG steht für „Kontinuität der Regierung“ (Continuity of Government), ein festgelegtes Verfahren, das im Fall eines terroristischen Ereignisses es ermöglichen soll, die Regierungsgeschäfte wieder wie gehabt aufzunehmen.
Zur Kontext: Das COG-Thema, das Cheney offenbar am Herzen lag, erhielt Aufwind, als ein CIA-Agent mit Decknamen Dragonfire gemeldet hatte, Al-Qaida-Terroristen seien im Besitz einer 10-Kilotonnen-Atombombe, wahrscheinlich gestohlen aus einem russischen Arsenal, die sich – laut Informant – bereits auf amerikanischem Boden befände. ( Zur „Dirty Bomb of Bin Laden“: Urs Gehriner in Die Weltwoche (8. Mai 2015).
Der „allwissende“ Erzähler listet auf, was (der fiktive) Dick Cheney im Katastrophenfall in den COG-Bunker vermutlich mitnehmen würde:
the entire works of Rush Limbaugh . . . , his favorite hunting rifle, and a list of major Republican National Committee donors who would be prioritized in any search and rescue operations as the nation emerged from its apocalypse.
Rush Limbaugh ist ein konservativer US-amerikanischer Radiomoderator und Entertainer, der seit den 1990er Jahren Bücher veröffentlichte (The Way Things Ought to Be (1992); See, I Told You So (1993, etc.), die es in die Bestsellerlisten schafften. Darin kritisiert er u.a. das, was er für „liberale Politik“ und von „liberalen Politikern“ in den USA hielt und auch, was er als durchgängig „liberale Haltung“ in großen US-Medien seiner Zeit wahrnahm.
Zum zweiten Mitnehmsel: „His (i.e. Cheney’s) favorite rifle gun“. Der Hinweis spielt auf die Debatte um die Waffenkontrolle in US-Amerika an und mag – oder mag nicht – eine Referenz auf den unrühmlichen Umgang Cheneys mit Waffen gehen, bei dem er während einer Wachteljagd seinen Jagdkollegen und republikanischen Geldgeber verletzte, der jedoch überlebte.
Und schließlich nimmt der fiktive Cheney des Romans die Liste der „major Republican donors“ mit.
US-Studien zeigen, dass z.B. TV-Satire-Shows („The Colbert Report“ mit Stephen Colbert oder John Olivers „Last Week Tonight“) ihr Publikum besser über komplexe politische Themen informieren als traditionelle Medienberichte. Mögliche Erklärversuche: Klassische Medienberichte sind nach dem Pyramidensystem aufgebaut: Erst eine Kurzfassung der Nachricht, dann eine stufenweise Konkretisierung. Anders die satirischen Formate. Sie nutzen das Prinzip des Storytelling.
Das Prinzip des Storytelling macht auch den Unterschied zwischen satirischen Zeichnungen (Karikaturen) und erzählerisch entwickelten literarischen Satiren aus. Satirische Zeichnungen haben zwar auch einen konkreten narrativen Kontext: Der aber bleibt im Hintergrund, ist nur für diejenigen präsent, die bereits über ihn wissen.
Israel ist von der aufklärerischen Wirkung literarischer Darstellungen überzeugt. Daher versuchte er, ein parteiübergreifendes Projekt, „a bipartisan Congressional Writers Caucus“ auf den Weg zu bringen: „It will help my colleagues develop their interest,“ sagte er „Every member of Congress, I suspect, has a book in them.“
Die politische Satire ist immer schon eine Gratwanderung. Ein ehemaliger US-Kongressabgeordneter, Bob Mrazek, der den Kongress 1993 verließ, um eine Karriere als Schriftsteller zu verfolgen, brachte es auf den Punkt: “It’s too hard. It requires a very fine balance, a very fine calibration of the absurd and the believable”. (zit. nach Helen Keller, Washington Post) Ist diese sehr feine Abwägung des Absurden und des Glaubwürdigen Israel gelungen? Hier ein Blick auf die Rezensionen.
7.
Critically Acclaimed: Rezensionen
Die ernst zu nehmenden Rezensionen des Romans sind vorwiegend positiv. Hier ein Auszug aus einer frühen Rezension von Ron Charles aus der Washington Post (24.12.2014) In seinem Eingangsstatement hebt Charles den Fakt hervor, dass es sich beim Autor um einen Politiker handelt, der sich in ein literarisches Genre begibt, das üblicherweise literarischen SatirikerInnen vorbehalten ist; dies aber mit Erfolg:
Let’s be honest: The bar is low for a novel by a member of Congress. One feels grateful if the book doesn’t commit a crime or humiliate itself in a public restroom. So it’s an unexpected delight to find “The Global War on Morris,” a political satire by Rep. Steve Israel (D-N.Y.), so spirited and funny. […] What parody could possibly embellish Rove’s paranoia? What farce could ever hyperbolize Libby’s cynicism? (W)riting in the full-tilt style of Carl Hiaasen, Israel takes on those challenges, skewering his way through one gaffe after another in the fight against domestic terrorism.
Man muss den Vergleich mit Carl Hiaasen nicht verstehen. Carl Hiaasen ist ein amerikanischer Journalist und Schriftsteller mit norwegischen Vorfahren. Als Journalist ist er seit langem investigativ unterwegs, als Schriftsteller hat er Kriminalgeschichten geschrieben, die als „Umweltthriller“ klassifiziert wurden. Vor allem ist er durch seinen markanten Stil bekannt geworden.
Der Lakmus-Test zwischen den durchweg positiven und den eher kritischen Rezensionen scheint Israels literarischer Umgang mit den Muslimen in seinen Roman zu sein. Für Ron Charles kein Problem:
These comic scenes about terrorists plotting bloody mayhem are the novel’s biggest gamble. One wrong cut and the whole thing could blow up in his face, but Israel works fairly well in those tight quarters without giving in to ugly anti-Muslim sentiments or appearing entirely naive about the threat of Islamic terrorism.
Cal Cleary, Bibliothekar, Kritiker und Schriftsteller in Ohio, sieht das anders. Er schreibt in Luxury Reading
Welcome to The Global War on Morris, a satirical look at post-9/11 America from Congressman Steve Israel. At heart, the book is intended to be a comedic take on the War on Terror, pitting an everyman schlub against America’s vast, all-knowing intelligence network. But the book is a bit scattershot in its comedy, with everyone and everything in it reduced to comedic stereotypes.
So auch lapidar der Rezensent der Kirkus Review, der – unaufgearbeitet und pauschal – auf sog. „Sterotype“ abhob. Hier das Zitat:
In a book dotted with Yiddish expressions from the first word—“tsuris,” or trouble—Morris, alas, is a schlub, while his wife, Rona, plays guilt-breeding Jewish mother to a nice Muslim boy who isn’t sure the 72 virgins are worth it. There’s a lot of cliché to these characters, which is fine for farce and for their main role of getting the feds into a high-tech version of the Keystone Kops. Israel has fun with the bureaucratic side of national security but offers few surprises, while his political jabs are rather flat and facile, and, after all, a decade late.
Fast überflüssig zu sagen, dass sich hier ein Rezensent outet, der schlicht und einfach nichts mit einem literarischen Genre anzufangen weiß. Unabhängig davon mögen ihn wichtige Fragen beschäftigt haben. Eine ist, was Humor bewerkstelligen kann im Zusammenhang mit einem Thema, dessen Brisanz allgegenwärtig ist.
He may have meant to warn against fresh hubris, but humor is a tricky vehicle at a time when refugees, casualties and decapitations can make it hard to see the lighter side of any aspect of the war on terror. (Kirkus-Review)
Das führt zu einer Debatte, was Satire darf und was eher nicht.
8.
Darf Satire alles? – Satire und Justiz
1919 proklamierte Kurt Tucholsky: „Satire darf alles!“ Darf sie es wirklich? In nicht-demokratischen Ländern wird sie oft verboten, aber auch in freiheitlichen Gesellschaften hat sie Grenzen. Bei der Präsentation seines Buches bei Politics&Prose fragte ein Teilnehmer der Diskussionsrunde, wie viele Anwälte und Anwältinnen Israel engagieren musste, um den Roman zu verteidigen und ihn vor Regressmaßnahmen zu schützen.
Die politische Satire darf alles, was gültigem Recht entspricht. Sie befindet sich in einem Raum, der durch das Spannungsfeld von Meinungs-, Kunst- und Pressefreiheit bestimmt ist. Die Satire ist eine wichtige Form des politischen Kommentars, der die Grenze zwischen dem Akzeptablen und dem Absurden verwischt, um Personen öffentlichen Interesses anzugreifen, zu verhöhnen oder lächerlich zu machen. Obwohl die Satire bisweilen beleidigend und absichtlich verletzend sein kann, sind ihre Aussagen verfassungsrechtlich geschützt. Voraussetzung: Lesende missverstehen die Aussagen nicht als Realität. Selbst eine noch so beißende Satire kann in demokratischen Gesellschaften nicht mit Erfolg gerichtlich belangt werden, es sei denn, die respektlosen Kommentare enthalten nachweislich falsche Fakten, die in boshafter Absicht veröffentlicht wurden. Das allerdings muss von denen, die sich angegriffen fühlen, überzeugend belegt werden. (Reporters Committee for the Freedom of the Press Im Copyright-Teil der Simon & Schuster-Veröffentlichung weist Steve Israel daher darauf hin, dass es sich um ein fiktionales Werk handele und dass alle Referenzen auf reale Personen fiktional verwertet worden seien: alle anderen Charaktere seien Ergebnis seiner eigenen Imagination:
This book is a work of fiction. Any references to historical events, real people, or real places are used fictitiously. Other names, characters, and places are products of the authors imagination and any resemblence to actual events, persons and places, living or dead, is entirely coincidental.
Als Politiker und Senatsabgeordneter hatte Israel die Möglichkeit, das Manuskript durch die Ethikkommission des Repräsentantenhauses prüfen zu lassen. Sie gab grünes Licht.
9.
Fernsehadaptation und ein zweiter Roman
The Global War on Morris ist auf dem besten Weg, zu einer Comedy-Serie für das Kabel-TV zu werden. Die Rechte wurden an Rob Reiner und Andrew Lenchewski vergeben. Rob Reiner ist Filmregisseur, Schauspieler und Politaktivist und Roslyn Andrew Lenchewski u.a. Co-Kreator und Executive Producer der US-amerikanischen Serie Royal Pains. Für das Drehbuch soll der Oscar-nominierte Doug McGrath zuständig sein, zu dessen Laudatien unter anderem die Komödie von Woodie Allens Bullets Over Broadway (1994) zählt. Die Idee ist noch nicht ganz beschlossene Sache. Es muss noch ein Studio gefunden werden, das einsteigt.
In seinem zweiten Roman, Big Guns, der schon geschrieben ist und von Simon & Schuster auch schon angenommen wurde unter dem Vorbehalt, dass die Ethikkommission eine Veröffentlichung für unbedenklich hält, wird es, soweit bekannt, um Lobbyisten der National Rifle Association (NRA) – bekannt unter dem Namen „Big Guns“ – gehen. (vgl. auch den Blog-Beitrag „Shot in the USA: Die Debatte um eine Verschärfung des Waffenrechts in den USA …„) Im Zentrum soll ein konservativer Politiker des US-Kongresses stehen, der – so Israel – nicht auf einem real-geschichtlichen Vorbild basiere. Man darf gespannt sein.
Leseprobe(n)
Google Books
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Video-Präsentation(en)
Congressman Steve Israel „The Global War on Morris“ Darin auch Kernpassagen des Romans, vom Autor selbst vorgetragen und mit einer Einleitung versehen.
Interview(s)
Congressman Steve Israel on „Satire, Politics & Fighting Terrorism“ The Takeway.org
Rezension(en)
Ron Charles, „The Global War on Morris“ Washington Post (24.12.2014) ‘The Global War on Morris,’ a political satire by Congressman Steve Israel